Abstract:
Kosmologische Beobachtungen auf allen Größenskalen des Universums haben gezeigt, dass
86 % der gesamten Masse im Universum aus nicht-leuchtender, gravitativ wechselwirk-
ender Dunkler Materie besteht, wohingegen die bekannte baryonische Materie nur 14 %
ausmacht. Obwohl schwach wechselwirkende massive Teilchen (Weakly Interacting Massive
Particles, WIMPs) bisher noch nicht nachgewiesen wurden, stellen sie attraktive Anwärter
auf ein Dunkle Materie Teilchen dar, weil sie zum einen auf natürliche Weise die heute
beobachtete Dichte von Dunkler Materie erklären und zum anderen stabil und neutral
... mehr
sind, selten mit normaler Materie wechselwirken und auch eine niedrige Selbstwechsel-
wirkungsrate aufweisen. Ursprünglich wurde angenommen, dass WIMPs hohe Massen
im Bereich zwischen 100 GeV/c2 und 1 TeV/c2 haben sollten, allerdings gehören heutzu-
tage auch WIMPs mit niedrigen Massen (low-mass WIMPs) von einigen GeV/c2 zu den
potentiellen Anwärtern. Die Experimente zur direkten Suche nach Dunkler Materie ver-
suchen, den elastischen Stoß eines WIMPs mit einem Target-Nukleon nachzuweisen. Da
der Energieübertrag bei so einem Stoß sehr klein ist, müssen Dunkler Materie Detektoren
eine exzellente Unterdrückung von Untergrundereignissen und sehr niedrige Detektions-
schwellen aufweisen. Insbesondere für die Messung von low-mass WIMPs sind Detektions-
schwellen im sub-keV Bereich notwendig.
Diese Arbeit wurde im Rahmen des EDELWEISS Experiments angefertigt, welches
als Ziel hat, Wechselwirkungen von WIMPs in hochreinen Germanium Kristallen (High
Purity Germanium, HPGe) zu messen. Die ausgezeichnete Funktionsweise dieser Detek-
toren wurde bereits in der 3. Phase des Experiments gezeigt und erlaubte Ausschluss-
werte für den WIMP-Nukleon Streuwirkungsquerschnitt bis zu niedrigen WIMP Teilchen-
massen von 4 GeV/c2 zu bestimmen. Dieser Erfolg basiert auf der gleichzeitigen Mess-
ung des Ionisierungs- (Elektron und Loch Paare) und Wärmesignals (Phononen) eines
gestoßenen Teilchens. Über das Verhältnis von Ionisationsenergie zu Wärmesignal können
Kernrückstöße und Elektronenrückstöße unterschieden werden, wobei erstere durch WIMPs
verursacht werden und letztere durch γ- und β- Untergrundstrahlung. Zusätzlich besitzen
die Detektoren ein spezielles Elektrodendesign (Fully Inter Digitized, FID), das die Iden-
tifizierung und Verwerfung von oberflächennahen Ereignissen erlaubt, welche oft vom Ein-
fang von Ladungsträgern betroffen sind, was wiederum zu einer unvollständigen Messung
der Ionisationsenergie führt.
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Die nächste Phase des EDELWEISS Experiments begann im Dezember 2016 und hat
zum Ziel, die Sensitivität für low-mass WIMPs mit mχ ≈ 1 GeV/c2 zu erreichen. Dies
bedingt niedrige Detektionsschwellen im sub-keV Bereich. Erreicht werden kann dies, in-
dem die HPGe Kristalle mit hohen elektrischen Feldern von bis zu 100 V/cm betrieben
werden. Dies führt zu einer Verstärkung des Wärmesignal basierend auf dem Neganov-
Trofimov-Luke (NTL) Effekt. Während Elektronen und Löcher durch den Kristall driften,
werden sekundäre Phononen erzeugt, deren Anzahl mit dem angelegten elektrischen Feld
ansteigt. Das ermöglicht eine Reduzierung der Detektionsschwelle im Wärmekanal auf
unter 100 eV. Allerdings geht die Diskriminierung von Elektronen- und Kernrückstößen,
sowie die Identifizierung von oberflächennahen Ereignissen verloren.
Im Fokus dieser Arbeit stehen die Ladungstransporteigenschaften von Elektronen und
Löchern in den HPGe Kristallen bei niedrigen und hohen elektrischen Feldern, da das
Verständnis dieser Eigenschaften wesentlich ist, um die NTL Verstärkung wirkungsvoll zu
nutzen. Zu diesem Zweck wurde ein umfangreiches Kalibrierungsexperiment mit einem FID
HPGe Detektor in einem Oberflächenlabor durchgeführt und die experimentellen Ergeb-
nisse mit Ladungstransportsimulationen in den EDELWEISS Detektoren verglichen.
Der erste Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit der Analyse der Pulsformen der Ionisa-
tionssignale. Diese Analyse erlaubt, Ladungtransporteigenschaften zu untersuchen, da die
Form der Ionisationssignale eine direkte Konsequenz aus dem Transport von Elektronen
und Löchern in den HPGe Kristallen ist. Die Analyse der Anstiegszeiten der Ionisationssig-
nale bei hohen und niedrigen elektrischen Feldern zeigt, dass Simulationen und Messergeb-
nisse gut übereinstimmen. Zusätzlich zeigt sich, dass oberflächennahe Ereignisse kürzere
Anstiegszeiten als Ereignisse im Inneren des Detektors haben und folglich eine Diskrim-
inierung von oberflächennahen Ereignissen möglich ist. Abschließend wird gezeigt, dass
die Anstiegszeiten geeignet sind, frühzeitig das Entstehen von Raumladung und somit eine
Verschlechterung der Ladungssammlung zu erkennen.
Der zweite Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit der Funktionsweise der HPGe Detek-
toren bei hohen elektrischen Feldern. In diesem Fall sind nicht nur die Ionisationssignale
sondern auch das Wärmesignal stark von Ladungstransportprozessen beeinträchtigt, da
das Wärmesignal von sekundären Phononen, die durch driftende Elektronen und Löchern
entstehen, dominiert wird. Auch hier zeigte sich, dass Simulation und Messung gut über-
einstimmen. Es stellte sich heraus, dass die Detektorsignale stark von Ladungseinfang
beeinträchtigt sind, was zu unvollständiger Ladungssammlung und reduzierten Wärmes-
ignalen führt. Davon betroffen sind vor allem Ereignisse, die nahe der Oberfläche und
zwischen den Ringelektroden auftreten. Um den Einfluss von reduzierter Ladungssamm-
lung für oberflächennahe Ereignisse zu minimieren, führen wir eine Optimierung der Elek-
trodenkonfiguration durch. Da im Falle von hohen elektrischen Feldern, die Detektions-
schwelle niedrig ist, dominiert niedrigenergetische Untergrundstrahlung im oberflächenna-
hen Bereich. Deswegen liegt der Schwerpunkt der Optimierung auf Energieeinträgen, die
nahe der Oberfläche einer Schicht d ∈ [200 nm, 1 μm] stattfinden. Vor allem ein geändertes
Design der Elektroden, das nur noch aus 2 großflächigen Elektroden besteht, erlaubt im
Vergleich zu einem FID Detektor eine signifikante Reduktion der Ereignisse, die von un-
vollständiger Ladungssammlung beeinflusst werden.
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Die spannungsunterstützte Messung von Ionisierung als Wärmesignal in Halbleiterde-
tektoren ist ein vielversprechender und zukunftsweisender Weg um höhere Sensitivität
für low-mass WIMPs zu erreichen. Dies macht ein gutes Verständnis von Ladungstrans-
portprozessen und die Vermeidung von Signalreduzierung durch Ladungseinfang um so
wichtiger. Diese Arbeit zeigt, dass der Ladungstransport in HPGe Detektoren bei tiefen
Temperaturen und für elektrische Felder zwischen 2 V/cm und 50 V/cm und höher gut
verstanden ist. Dadurch wird eine zuverlässige Rekonstruktion der Energieeinträge im
Detektor auch bei hohen elektrischen Feldern möglich. Diese in dieser Arbeit gezeigte
Verlässlichkeit der Energieskala erlaubt, den nächsten Schritt in Richtung der Detektion
von low-mass WIMPs anzugehen.
Abstract (englisch):
Cosmological observations on all scales of the universe have shown that 86 % of the matter
in the universe consists of non-luminous, gravitating, dark matter, whereas the known
baryonic matter only accounts for 14 %. Although Weakly Interacting Massive Particles
(WIMPs) have not been detected so far, they are very attractive dark matter particle
candidates as they naturally explain the observed dark matter density and satisfy the basic
properties of dark matter, i.e. they are collisionless, stable, low self-interacting, neutral
and weakly interacting with normal matter. ... mehrOriginally, WIMPs were assumed to be heavy
with masses in the range from 100 GeV/c2 to 1 TeV/c2, however nowadays also low-mass
WIMPs with masses of a few GeV/c2 are considered as potential candidates. Direct
dark matter experiments try to measure the signature of an elastic scattering event of
a WIMP with a target nucleon. The associated energy transfer is small, therefore dark
matter detectors have to provide excellent background suppression together with very low
detection thresholds. Especially for low-mass WIMPs, thresholds have to be in the sub-keV
range.
This thesis was performed in the framework of the EDELWEISS experiment, which aims
to detect WIMP interactions in High Purity Germanium (HPGe) detectors. The excellent
performance of these detectors was proven in the EDELWEISS-III phase, setting limits
on the WIMP-nucleon cross-section down to WIMP masses of 4 GeV/c2 . The success was
based on the hybrid detection of ionization (electron/hole-pairs) and heat (phonons) signals
of a particle interaction, which allows to discriminate nuclear recoils, caused by WIMPs,
from electron recoils, which are created by background γ- and β-rays. In addition, the
special Fully Inter Digitized (FID) electrode design allowed to reject surface events, which
are often affected by trapping and compromise a full measurement of the ionization energy.
In the next phase, having started in December 2016, EDELWEISS aims to increase its
sensitivity down to low-mass WIMPs with mχ ≈ 1 GeV/c2. To reach this goal, detection
thresholds in the sub-keV range are required. This can be achieved by operating the
HPGe detectors at high electric fields, typically up to 100 V/cm. This leads to the so-
called Neganov-Trofimov-Luke (NTL) amplification of the heat signal: Drifting electrons
and holes lead to secondary phonons, where the number of phonons is proportional to
the applied electrode voltage. This technology allows to lower the detection threshold in
the heat channel to the 100 eV-range. However, the discrimination power of electron and
nuclear recoils and surface events is lost.
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This thesis is centered on the study of the HPGe crystals, and especially on the charge
migration properties of electrons and holes at low and high electric fields. These proper-
ties and their understanding are essential to make proper use of the NTL amplification.
Therefore, we performed an extensive calibration experiment with a prototype FID HPGe
detector at ground level. We focus on the characterization and understanding of the charge
migration processes in the detector, which are crucial for a reliable detector performance.
The analysis makes use of the comparison of experimental data with simulations based on
modeling the hot carrier transport in the EDELWEISS detectors.
The first part of this work focuses on the pulse-shape analysis of the ionization sig-
nals. Pulse-shape analysis allows to study charge transport properties as the shapes of
the ionization signals are a direct consequence of electron and hole migration in the HPGe
crystal. We use the rise time of ionization signals at low and high electric fields and show
that simulation and data are in very good agreement. Further we show that the rise time
for surface events is clearly distinguishable from bulk events. We subsequently perform a
rise time cut which allows us to reject surface events. Eventually, we show that the rise
time parameter can be used to characterize the degradation and space-charge build-up in
the detector.
The second part of this thesis is dedicated to the study of the detector performance at
high electric fields. The heat signals at high biases are dominated by phonons which are
created by drifting electrons and holes. Hence, charge migration processes like trapping
are influencing both ionization and heat signals. We show that also at high electric fields,
simulation and data are in good agreement. We find that the detector signals are heavily
affected by trapping, leading to incomplete charge collection and reduced heat signals.
Especially interactions close to the surface and in-between the ring electrodes are limiting
the detector performance. Therefore, we optimize the electrode configuration to reduce
poor charge collection in the surface region. In case the detectors are operated at high
biases, the detection thresholds are low, and therefore low energy backgrounds interacting
close to the surface become dominant. This requires an optimization focused on energy
deposits in a layer d ∈ [200 nm, 1 μm] close to the surface. We show that for an electrode
design, which consists of only two electrodes, which fully cover the top, bottom and lateral
surface of the detector with a small gap (3 mm) on the lateral surfaces, the number of
events with reduced heat amplitude due to trapping can be reduced significantly compared
to a FID-type detector.
In the searches for low-mass WIMPs with semiconductor detectors, voltage-assisted
calorimetric amplification of heat signals will lead the path to higher sensitivity. Thus,
understanding the charge transport and avoiding charge trapping becomes an even more
important issue. This work proves that charge migration is very well understood for HPGe
detectors at cryogenic temperature and bias electric fields ranging from 2 V/cm to 50 V/cm
and even higher. This allows us to make the next experimental step towards low-mass
WIMP searches with a reliable reconstruction of energy deposits in HPGe detectors.