Abstract:
Aufgrund der geringen Konzentrationsspanne zwischen seiner Bedeutung als essentieller Nährstoff und der Bedeutung als toxisches Spurenelement spielt das Verhalten von Selen (Se) in vielen Umweltbereichen eine wichtige Rolle. Darüber hinaus tritt Se in radioaktivem Abfall als Radionuklid 79Se auf, welches wegen seiner langen Halbwertzeit und potentiell hohen Mobilität zur Gruppe der langzeitsicherheitsrelevanten Radionuklide gehört. Innerhalb eines aquatischen Systems wird die Se-Mobilität vorwiegend von der Gegenwart der leicht löslichen Se-Oxyanionen Selenit [Se(IV)] und Selenat [Se(VI)] sowie deren Interaktion mit Mineralphasen bestimmt. ... mehrDa Eisenoxide in der Umwelt weitverbreitet und im Gegensatz zu anderen Materialien zudem in der Lage sind, über einen weiten pH-Bereich mit anionischen Spezies zu interagieren, wurde die Retention von gelösten Se-Spezies infolge einer Adsorption an Eisenoxid-Mineralen bereits in vergangenen Studien detailliert untersucht.
Kaum erforscht wurde bislang hingegen die Immobilisierung von gelösten Se-Oxyanionen durch Eisenoxide während des Mineralbildungsprozesses, obwohl eine Interaktion in dieser Phase durchaus realistisch ist. Dies gilt nicht nur für die Bildung von Eisenoxiden aufgrund von Alterationsprozessen, sondern auch für deren Entstehung bedingt durch eine Korrosion von elementarem Eisen, die insbesondere im Umfeld eines Endlagers von Bedeutung ist. In dieser Arbeit wurde deshalb mit Hilfe von Kopräzipitationsstudien die Immobilisierung gelöster Se-Oxyanionen während der Bildung und Kristallisation der Eisenoxide Hämatit und Magnetit untersucht. Um die dabei wirksamen Retentionsmechanismen sowie deren Retentionspotential und Stabilität im Detail zu charakterisieren, wurden die erzielten Resultate mit äquivalenten Adsorptionsstudien verglichen, die unter identischen hydrochemischen Bedingungen aber nach einer beendeten Mineralbildung stattfanden.
Im Falle der Se-Hämatit-Kopräzipitationsstudien erfolgte die Laborsynthese von Hämatit durch die Präzipitation und die anschließende Alterung von Ferrihydrit in einem oxischen Se(IV)- bzw. Se(VI)-System (pH 7.5). Die hydrochemischen Daten dieser Batchversuche ließen eine vollständige Aufnahme der gesamten verfügbaren Se(IV)-Menge bis hin zu einer anfänglichen Se-Konzentration von c(Se)0 = 10-3 mol/L (m/V = 9.0 g/L) erkennen, während die Retention von Se(VI) deutlich geringer ausfiel (max. 15 % von c(Se)0). Bei sehr hohen initialen Se(IV)-Konzentrationen zeigten die Ergebnisse, dass die Interaktion von gelösten Se-Spezies mit Ferrihydrit die Art des Transformationsprodukts beeinflusst und es nicht mehr zur Entstehung einer reinen Hämatitphase kommt. Vergleichende Se-Adsorptionsstudien ermöglichten ferner die Differenzierung zwischen Adsorption und Kopräzipitation und konnten im Falle der Se-Kopräzipitation ein signifikant höheres Retentionspotential nachweisen. Zudem wies das Desorptionsverhalten von Se-haltigen Hämatitproben aus Adsorptions- bzw. Kopräzipitationsexperimenten darauf hin, dass eine Se-Kopräzipitation die Entstehung einer widerstandsfähigen nicht-desorbierbaren Se-Fraktion zur Folge hat. Gemäß der zeitlichen Entwicklung der Se(IV)- bzw. Se(VI)-Retention sowie der detaillierten spektroskopischen Analyse (XPS, XAS) der entsprechenden Syntheseprodukte ist diese nicht-reversible Se-Fraktion das Ergebnis eines Se-Einbauprozesses. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um einen strukturellen Se-Einbau, sondern um einen okklusionsähnlichen Einbaumechanismus, der darauf zurückzuführen ist, dass der Großteil des ehemals an Ferrihydrit adsorbierten Se(IV) oder Se(VI) im Zuge der Ferrihydrit-Hämatit-Rekristallisation in die neu entstandene Hämatitphase eingeschlossen wurde. Aus diesem Grund gleicht der Bindungscharakter des eingebauten Se auch dem von adsorbiertem Se an der Mineraloberfläche von Hämatit, welches durch außersphärische Se(VI)-Komplexe oder innersphärische bidentat-mononukleare kantengebundene (2E) und bidentat-binukleare eckengebundene (2C) Se(IV)-Adsorptionskomplexe charakterisiert ist (BÖRSIG et al., 2017).
Kopräzipitationsstudien von Se-Oxyanionen und Magnetit basierten dagegen auf der progressiven Oxidation eines alkalischen, anoxischen Fe2+-Systems (pH 9.2). Die Auswertung der hydrochemischen Daten zeigte, dass bei diesem Prozess anwesendes Se(VI) oder Se(VI) vollständig aus der Lösung entfernt wird, solange die initiale Se-Konzentration Werte von c(Se)0 = 10-3 mol/L (m/V = 3.4 g/L) nicht überschreitet. Zurückzuführen ist diese Se-Retention auf die Reduktion von Se(IV) bzw. Se(VI) und eine daraus resultierende Präzipitation schwerlöslicher Se-Verbindungen. In den Syntheseprodukten konnten diese Se-Ausfällungen in Form von elementarem Se(0) eindeutig nachgewiesen werden. Wie die Analyse der zeitlichen Entwicklung der Se-Retention und die Charakterisierung der beteiligen Festphasen erkennen ließ, erfolgt die Se-Reduktion unter den noch anoxischen Bedingungen im Frühstadium der Kopräzipitation aufgrund einer Wechselwirkung mit Eisen(II)-hydroxid und Green Rust, die die Vorläuferphasen des späteren Magnetits darstellen. Mit Hilfe spektroskopischer sowie elektronenmikroskopischer Analysen konnte nachgewiesen werden, dass diese frühe Se-Interaktion zur Bildung einer nanopartikulären Eisenselenid-Phase [FeSe] führt, welche im Laufe der fortschreitenden Oxidation des aquatischen Systems und der damit einhergehenden Transformation der nun instabilen Eisenoxide ebenfalls oxidiert und in trigonales Se(0) umgewandelt wird. Für das Retentionsverhalten von Se ist es hierbei unerheblich, ob am Ende des Oxidationsprozesses neben Magnetit auch andere Eisenoxid-Minerale entstehen. Desorptionsstudien offenbarten zudem, dass die gebildete Se(0)-Phase auch unter oxischen sowie stark alkalischen Bedingungen stabil ist und keine Mineralauflösung erfolgt. Demgegenüber ließen Se-Magnetit-Adsorptionsstudien keine Se-Reduktion und nur ein limitiertes Adsorptionspotential erkennen. Dies gilt speziell für Se(VI), bei pH 9.2 jedoch auch für Se(IV), gleichwohl Se(IV) innersphärische 2E- und/oder 2C-Adsorptionskomplexe ausbildet.
Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass Prozesse wie der Einbau von Se-Oxyanionen in Hämatit oder die durch die Interaktion mit Fe(II)-Mineralen verursachte reduktive Se-Fällung relevante Retentionsmechanismen zusätzlich zur reinen Se-Adsorption darstellen, welche die Mobilität von Se-Oxyanionen in natürlichen Systemen oder Se-belasteten Gebieten beeinflussen können.
Abstract (englisch):
The trace element Selenium (Se) is of special concern because of the extremely fine line between its opposing properties: At low concentrations, it is an essential nutrient for many organisms, at slightly higher quantities, however, it becomes a toxic contaminant. In addition, Se occurs in nuclear waste in the form of the long-lived, harmful radionuclide 79Se, which plays a crucial role in the long-term safety assessment of deep geological repositories. The mobility of Se in an aquatic system is mainly controlled by the occurrence of the highly soluble Se oxyanions – selenite [Se(IV)] and selenate [Se(VI)] – and their interaction with mineral phases. ... mehrSince iron oxides are ubiquitous in nature and, in contrast to other geological materials, capable of anion sorption over a large pH range, several previous studies investigated Se retention by adsorption onto iron oxides.
However, little is known about the retention of Se oxyanions during the formation process of iron oxides, although it is quite probable that Se and iron oxides interact at this stage. This applies not only to the formation of iron oxides caused by an alteration of instable iron minerals in natural environments like sediments or soil, but also to an iron oxide formation due to the corrosion of elemental iron, which represents a relevant process in the surroundings of geological repositories (corrosion of the technical barrier). The objective of this thesis was therefore to investigate the immobilization of Se oxyanions in coprecipitation studies during the formation and crystallization of hematite or magnetite. In order to identify the nature of the retention mechanism and to characterize the retention capacity and stability, the results of the coprecipitation studies were compared with results of equivalent adsorption experiments. These experiments were performed under identical hydrochemical conditions but after a completed hematite or magnetite formation.
In case of the hematite coprecipitation studies, hematite was synthesized in the laboratory by the precipitation and aging of ferrihydrite in an oxidized Se(IV)- or Se(VI)-containing system (pH 7.5). Hydrochemical data of these batch experiments revealed the complete uptake of all available Se(IV) up to initial concentrations of c(Se)0 = 10-3 mol/L (m/V ratio = 9.0 g/L), while the retention of Se(VI) was relatively low (max. 15 % of c(Se)0). In case of high initial Se(IV) concentrations, the results also demonstrated that the interaction of Se(IV) oxyanions with ferrihydrite affects the type of the final transformation product and that the synthesis of pure hematite is no longer possible. Comparative adsorption studies allowed a distinction between pure adsorption and coprecipitation and showed a significantly higher Se retention by coprecipitation than by adsorption. The desorption behavior of Se-bearing hematite samples from adsorption and coprecipitation studies, respectively, indicated that Se coprecipitation leads to the occurrence of a resistant, non-desorbable Se fraction. According to time-resolved studies of Se(IV) or Se(VI) retention during the hematite formation and detailed spectroscopic analyses (XPS, XAS), this fraction is the result of a Se incorporation process. The incorporation of Se, however, does not result from a structural incorporation (Se-for-Fe substitution or occupation of vacancies) but is based on an occlusion-like process, which can be attributed to originally adsorbed Se oxyanion surface complexes that are entrapped in the hematite bulk phase during the ferrihydrite-hematite recrystallization process. This is why the incorporated Se oxyanion species are bound to the hematite in a way that is similar to surface adsorption complexes. In case of Se(VI), an outer-sphere complex forms, while Se(IV) forms a mixture of bidentate mononuclear edge-sharing (2E) and bidentate binuclear corner-sharing (2C) inner-sphere complexes (BÖRSIG et al., 2017).
Coprecipitation of Se oxyanions and magnetite, on the other hand, based on the progressive oxidation of an alkaline, anoxic Fe2+ system (pH 9.2). Hydrochemical data showed the complete removal of all present Se(IV) or Se(VI) species up to initial Se concentrations of c(Se)0 = 10-3 mol/L (m/V ratio = 3.4 g/L). This Se immobilization is due to the reduction of Se(IV) or Se(VI), resulting in the precipitation of sparingly soluble Se compounds. By XRD analysis, these Se compounds were identified as crystalline elemental Se(0) that occurred in all coprecipitation products after the completed magnetite formation. The time-resolved analysis of Se(IV) or Se(VI) retention during the magnetite formation and detailed spectroscopic analyses (XPS, XAS) of the involved solid phases showed that the Se reduction takes place under the anoxic conditions in the early phase of the coprecipitation process by the interaction with ferrous hydroxide and green rust. Both minerals represent the primary Fe(II)-containing precipitation products of the aquatic Fe2+ system and the precursor phases of the later formed magnetite. Spectroscopic and electron microscopic analysis proved that this early Se interaction leads to the formation of a nanoparticulate iron selenide phase [FeSe], which is oxidized and transformed into trigonal elemental Se(0) during the progressive oxidation of the aquatic system and the associated transformation of the unstable iron oxides. Regarding the retention behavior of Se, it is irrelevant whether the oxidation of the unstable iron oxides leads to the formation of pure magnetite or also to other iron oxide phases like goethite. Furthermore, desorption studies revealed that no dissolution of elemental Se(0) occurs even at strong alkaline and oxic conditions. This observation indicates that the immobilization of Se oxyanions as a result of the formation of Se(0) is a relatively stable retention mechanism. By contrast, Se(IV) or Se(VI) adsorption studies on magnetite showed no Se reduction and only a limited adsorption capacity. This applies in particular for Se(VI), however, at pH 9.2 also for Se(VI), even though dissolved Se(IV) species are capable of forming inner-sphere 2E- and/or 2C adsorption complexes on the magnetite mineral surface.
The results of this thesis demonstrate that processes like the incorporation of Se oxyanions in hematite or the reductive precipitation of Se induced by an interaction with Fe(II)-containing minerals are important retention mechanisms in addition to pure Se adsorption, which may affect the migration and immobilization of Se oxyanions in natural systems or polluted environments.