Abstract:
Das Ziel der vorliegenden Dissertation ist die Analyse der Wassernutzungen und der WasserGovernance aus der Perspektive der Politischen Ökologie. Dabei werden formelle und informelle Regulationsmechanismen sowie die unterschiedlichen beteiligten Akteure, deren Interessen und Machtbeziehungen berücksichtigt. Gleichzeitig ist es wichtig, die zugrundeliegenden Wasserwahrnehmungen sowie die Vielfältigkeit an Akteuren und Prozessen aus unterschiedlichen Skalen, die lokale Wassernutzung gestalten, zu betrachten. Diese Analyse wird am Beispiel der Wassernutzung im oberen Río Negro-Tal, in Nordpatagonien, Argentinien vorgenommen. ... mehrDer Fluss Río Negro befindet sich in der Provinz Río Negro, seine Quellen sind die Flüsse Limay und Neuquén. Das Wasser des Flusses wird für die Bewässerung und als Trinkwasserquelle genutzt und dient als Ziel für das Abwasser der verschiedenen Siedlungen, die sich entlang des Río Negro befinden. Diese Abwässer sind meist ungenügend oder gar nicht behandelt, da die vorhandende Infrastruktur veraltet bzw. überfordert ist. Darüber hinaus wird der Fluss in den Sommermonaten als Freizeitraum genutzt. Staudämme und Wasserkraftwerke in den Nebenflüssen Limay und Neuquén beeinflussen den Río Negro sehr stark.
Nachdem die Problemstellung in der Einleitung dargestellt wurde, widmet sich die Arbeit dem theoretischen (Kapitel 2) und methodologischen (Kapitel 3) Rahmen. Für den analytischen Teil dieser Arbeit wurde der Ansatz der Politischen Ökologie verfolgt. Neben einer Skizze des Ansatzes und der Besonderheiten der Politischen Ökologie des Wassers und der lateinamerikanischen Politischen Ökologie werden im zweiten Teil des Kapitels Schlüsselkonzepte der Politikwissenschaft eingeführt, die im analytischen Teil jedoch vor allem in der Schlussfolgerung zur Anwendung kommen. Methodologisch lässt sich die Arbeit in das konstruktivistische Paradigma einordnen. Um die Daten zu erheben, wurden leitfadengestützte Experteninterviews durchgeführt. Die Methode zur Datenauswertung war eine Kombination aus der kategorisierenden Methode, dem thematischen Kodieren nach Uwe Flick und einem rekonstruktiven Verfahren, der dokumentarischen Methode nach Ralf Bohnsack. Die dokumentarische Methode wurde allerdings ergänzend eingesetzt. Die Annäherung an das Untersuchungsgebiet sowie die empirische Herangehensweise der Arbeit stehen in Zusammenhang mit dem theoretischen und methodologischen Rahmen und sind somit dadurch gesteuert. Kapitel 4 gibt einen zusammenfassenden Überblick über die klimatischen und geographischen Merkmale Argentiniens, Patagoniens und der Provinz Río Negro. Der Überblick vereinfacht die Komplexität und Vielfältigkeit des Klimas und der Geographie Argentiniens, um den Fokus auf die Kontextbedingungen des Río Negro, eine die patagonische Steppe durchquerende Wasseroase, nicht zu verlieren.
Kapitel 5 beschäftigt sich mit der historischen Entstehung und Entwicklung der Provinz Río Negro im Rahmen der Entstehung des Nationalstaats und den damit verbundenen Machkämpfen zwischen verschiedenen Akteuren. Es wird besonders auf die Gestaltung des Territoriums, vor allem im oberen Río Negro-Tal geachtet. Kapitel 6 widmet sich den formellen Regulationsmechanismen des Wassers in Argentinien. Es werden wasserbezogene Einrichtungen auf nationaler, föderaler und provinzieller Ebene sowie die nationale und provinzielle Gesetzgebung dargestellt. Entsprechend globaler Tendenzen, die Veränderungen in den Governance-Konfigurationen bewirkten, wurden in Argentinien in den 80er und 90er Jahren Dezentralisierungs- und Privatisierungsprozesse durchgeführt sowie Partizipationsmechanismen und –instanzen eingeführt. Die Vielfalt an Einrichtungen, die auf verschiedenen Ebenen für diverse wasserbezogene Angelegenheiten zuständig sind sowie die Tatsache, dass Argentinien eine föderale Staatsform hat und u.a. das Thema Wasser Provinz-Zuständigkeit ist, ergibt einen eher fragmentierten, komplexen institutionellen und gesetzlichen Rahmen.
In Kapitel 7 wird die Interpretation und Analyse der Interviews je nach Akteursgruppen dargestellt. Aufbauend auf diese Analyse widmet sich Kapitel 8 den Ergebnissen und Schlussfolgerungen der Arbeit. Hierbei beschäftigt sich Kapitel 8.1 mit den Wasserwahrnehmungen der unterschiedlichen interviewten Akteursgruppen. Es lässt sich feststellen, dass Wasser als „zu nutzende Ressource“ gedeutet wird und die Region als wasserreich wahrgenommen wird. Es gäbe dementsprechend keine konkurrierenden Wassernutzungen und somit wird beispielsweise die Erweiterung von hydraulic fracturing in der Region in Bezug auf die Wasser-Thematik nicht problematisiert. Dennoch sind Andeutungen für Degradationsprozesse des Flusswassers zu erkennen. Eine Ausnahme dieser Wahrnehmung bilden einige Interviewpartner aus der Zivilgesellschaft, die eine ausgeprägtere Perzeption von Degradationsprozessen des Flusses zeigten sowie ein Wasserverständnis, in dessen Rahmen Wasser nicht als Ressource, sondern als Lebensraum verstanden wird.
Im Anschluss widmet sich Kapitel 8.2 den identifizierten Wasser- und Landnutzungsänderungsprozessen im oberen Río Negro-Tal. Traditionell handelt es sich um ein bewässertes landwirtschaftliches Tal, in dem Obst angebaut wird. Seit Ende der 80er Jahre findet ein Land- und Wassernutzungswandel statt, der den Obstanbau vertreibt: einerseits wird anhand von hydraulic fracturing Erdöl und Erdgas gefördert. Andererseits wird ehemaliges landwirtschaftlich genutztes Land für die Bebauung von sog. „barrios cerrados“ (engl. gated communities) genutzt. Das Kapitel geht der Frage nach den treibenden Kräften dieser Prozesse nach und nimmt Bezug auf die Konzepte „Akkumulation durch Enteignung“ und „neoliberal urbanism“ als Erklärungsansätze. In Kapitel 8.3 werden die von den Interviewten wahrgenommenen Schwierigkeiten bei der Durchführung von Dezentralisierungsprozessen sowie beim Einsatz von Partizipationsmechanismen bearbeitet. In den 80er und 90er Jahren wurden formelle Governance-Mechanismen reformiert. Diese Prozesse entsprachen den weltweit stattfindenden Tendenzen der Dezentralisierung, Privatisierung und der Einbeziehung von Partizipationsmechanismen in die Entwicklung öffentlicher Maßnahmen. Der institutionelle Rahmen hat sich somit verändert, aber dennoch besteht eine Kluft zwischen den formellen Vorgaben und deren Umsetzung.
Am Ende der Arbeit wird die Analyse unter Berücksichtigung der in Kapitel 2 eingeführten konzeptionellen Werkzeuge der Politikwissenschaft ergänzt. Die Argumentation folgt der Überzeugung, dass es von Vorteil wäre, den Dialog zwischen Politischer Ökologie und Politikwissenschaft zu intensivieren. Politikwissenschaftliche Konzepte und Ansichten über den Staat und im Rahmen der Demokratie-Forschung, wie z.B. die Beiträge zur radikalen Demokratie, würden polit-ökologische Analysen ergänzen. Andererseits würde das Infragestellen bestehender Naturverständnisse und der dahinterstehenden vielschichtigen Machtkonstellationen der Politischen Ökologie politikwissenschaftliche Analysen im Bereich Umwelt und Natur durch einen tiefgreifenden kritischen Blick bereichern.
Abstract (englisch):
The aim of this dissertation is the analysis of water uses and water governance from the perspective of Political Ecology. It takes into account formal and informal regulatory mechanisms as well as the different actors involved, their interests and power relations. At the same time, it is important to consider the underlying water perceptions as well as the diversity of actors and processes from different scales that shape local water uses. This analysis is based on the example of water uses in the upper Río Negro Valley, in northern Patagonia, Argentina.
The river Negro is located in the province of Río Negro and it originates at the confluence of the rivers Limay and Neuquén. ... mehrThe Negro is used for irrigation and as a source of drinking water and serves as a target for wastewater from various settlements along the river. This wastewater is usually inadequate or not treated at all, as the existing infrastructure is outdated or overwhelmed. In addition, the river is used as a recreational place during the summer time. Dams and hydroelectric power plants in the tributaries Limay and Neuquén strongly regulate the Negro.
After presenting the research problem in the introduction, the theoretical (Chapter 2) and methodological (Chapter 3) frameworks are introduced. The analytic part of this thesis pursues a Political Ecology approach. Besides briefly presenting the approach and the peculiarities of the Political Ecology of Water and of the Latin American Political Ecology, the second part of the chapter introduces key concepts of political science, which are mainly used in the conclusion. Methodologically, the work can be classified in the constructivist paradigm. Guided expert interviews were conducted to collect the data. Two methods were combined for data evaluation: a categorizing method (thematic coding according Uwe Flick) and a reconstructive method as a complement (documentary, according Ralf Bohnsack). The approach to the study area as well as the empirical approach are related to the theoretical and methodological framework and are therefore influenced by it. Chapter 4 gives a summary of the climatic and geographical features of Argentina, Patagonia and the province of Río Negro. The overview simplifies the complexity and diversity of Argentina's climate and geography in order not to lose focus on the contextual conditions of the Negro, a water oasis traversing the Patagonian steppe. Chapter 5 deals with the historical origin and development of Río Negro province in the context of the emergence of the nation state and the associated struggles between different actors. Particular attention is paid to the conformation of the territory, especially in the upper Río Negro valley. Chapter 6 deals with the formal regulation mechanisms of water in Argentina. It encompasses water-related institutions at national, federal and provincial level as well as national and provincial legislation. In line with the global trends in governance configurations, decentralization and privatization processes were implemented in Argentina in the 1980s and 1990s, and participatory mechanisms and institutions were introduced. The variety of institutions responsible for various water related issues at various levels, as well as the fact that Argentina has a federal form of government, consequently, water issues is a provincial responsibility, resulting in a rather fragmented, institutional complex and legislative framework.
Chapter 7 presents the interpretation and analysis of the interviews according to the actors groups. Building on this analysis, Chapter 8 looks at the results and conclusions of the work. Subchapter 8.1 deals with the water perception of the different actors groups interviewed. Water is interpreted as a "resource to be used" and the region is perceived as “rich in water”. As a consequence, is assumed that there is not competition for this resource, giving space to activities highly dependent of water such us hydraulic fracturing. Nevertheless, hints for degradation processes of the river are seen. An exception to the perception of water abundance are some interviewees from civil society, who showed a more pronounced perception of the degradation processes of the river, as well as an understanding of water not as a resource, but as part of the habitat. Subchapter 8.2 deals with the identified water and land use change processes in the upper Río Negro valley. Traditionally, it was an irrigated agricultural valley where fruit is grown. Since the late 1980s, there has been a land and water use change: on one hand, oil and gas exploitation with hydraulic fracturing expands in former irrigated land. On the other hand, former agricultural land is used for the construction of so-called "barrios cerrados" (gated communities). The chapter investigates the driving forces of these processes and refers to the concepts of “accumulation through deprivation” and “neoliberal urbanism” as explanatory approaches. Subchapter 8.3 deals with the difficulties encountered by interviewees in the implementation of decentralization processes and the use of participation mechanisms. Formal governance mechanisms were reformed in the 1980s and 1990s. These processes were in line with the global trends of decentralization, privatization and the inclusion of participation mechanisms in the development of public policies. The institutional framework has thus changed, but there is still a gap between the formal requirements and their implementation.
At the end of the paper, the analysis will be supplemented, taking into account the conceptual tools of political science introduced in Chapter 2. The argument follows the conviction that it would be beneficial to intensify the dialogue between Political Ecology and political science. Political science concepts and views on the state and in the context of democracy research, such as the contributions of the Radical Democracy would complement political-ecological analyzes. On the other hand, the questioning of the existing understandings of nature and the underlying multi-layered constellations of power that brings the Political Ecology would enrich political science analyzes in the field of environment and nature with a profound critical eye.