Abstract:
Kommen neue Technologien auf den Markt, ist oft nicht eindeutig geklärt, ob diese möglicherweise negative Effekte haben, zum Beispiel auf die Gesundheit ihrer Nutzer. Häufig werden dann Forderungen nach Vorsorge laut. Das Spektrum entsprechender Vorsorgemaßnahmen reicht von Moratorien über striktere Grenzwerte oder Kontrollen hin zu Empfehlungen, was Nutzer selbst tun können, um mögliche Risiken zu verringern. Derartige „Vorsorgeempfehlungen“ und ihre Effekte auf ihre Rezipienten stehen im Fokus der vorliegenden Arbeit.
Technologien zur drahtlosen Kommunikation haben unser Zusammenleben im Laufe der letzten 25 Jahre tiefgreifend verändert. ... mehrHandys, Laptops, Tablets und andere drahtlose Geräte emittieren elektromagnetische Felder im Radiofrequenzbereich (RF EMF), die mit dem menschlichen Körper wechselwirken. Weltweit sind die meisten Gesundheitsbehörden der Auffassung, dass es keine hinreichenden Nachweise für schädliche Gesundheitseffekte von RF EMF gibt. Jedoch existieren noch wissenschaftliche Unsicherheiten. Dies spiegelt sich auch in der Bewertung der International Agency for Research on Cancer (IARC) wider: Die IARC bewertet RF EMF von Mobiltelefonen als „möglicherweise krebserregend“. Basierend auf dieser Sachlage empfehlen viele Strahlenschutzbehörden weltweit Vorsorge. Der wesentliche Nutzen solcher Empfehlungen besteht in einem besseren Gesundheitsschutz im Falle, dass tatsächlich gesundheitliche Risiken bestehen. Vorsorgeempfehlungen bringen jedoch auch Kosten mit sich: Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde eine Meta-Analyse aller Studien zur Wirkung von Vorsorgeempfehlungen auf die Risikowahrnehmung ihrer Rezipienten durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass die Risikowahrnehmung bezüglich Mobiltelefonen und Mobilfunk-Basisstationen durch die Empfehlungen steigt. Während der wesentliche Nutzen der Empfehlungen möglicherweise gar nicht existiert, gibt es damit offenkundig auch Kosten.
Unklar sind jedoch Tragweite und Auswirkungen der durch die Vorsorgeempfehlungen gestiegenen Risikowahrnehmung. Ziel der vorliegenden Arbeit war, diesen Effekt genauer zu beleuchten, um die mit ihm verbundenen Kosten besser eingrenzen zu können. Dazu wurden drei Forschungsfragen formuliert:
(i) Bei wem erhöht sich die Risikowahrnehmung durch die Rezeption von Vorsorgeempfehlungen?
(ii) Können Vorsorgeempfehlungen so verändert werden, dass sie die Risikowahrnehmung ihrer Rezipienten nicht mehr erhöhen?
(iii) Was sind die Auswirkungen der durch die Vorsorgeempfehlungen erhöhten Risikowahrnehmung?
Diese Fragen wurden im Rahmen von drei Experimenten untersucht. In den Experimenten lasen Probanden verschiedene Texte, die entweder Vorsorgeempfehlungen enthielten oder nicht. Anschließend wurden verschiedene Variablen erhoben und die Ergebnisse statistisch ausgewertet.
Bezogen auf die erste Forschungsfrage wurde untersucht, ob Vorsorgeempfehlungen auf Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten verschieden wirken. „Trait anxiety“ (generelle Ängstlichkeit) stellte sich als wichtige Variable heraus. Vorsorgeempfehlungen erhöhten speziell bei Menschen mit niedriger trait anxiety die Risikowahrnehmung bezüglich RF EMF von Mobiltelefonen. Einschränkend muss erwähnt werden, dass dieser Befund komplexer wird, wenn die Risikowahrnehmung bezogen auf bestimmte, situationale Bedingungen erhoben wird. In einer der durchgeführten Studien sollten die Probanden ihre Risikowahrnehmung unter zwei verschiedenen, hypothetischen Bedingungen einschätzen: einmal, wenn Vorsorge angewendet und einmal, wenn sie nicht angewendet wird. Ein wichtiger methodischer Befund der vorliegenden Arbeit ist, dass diese Art der Erfassung der Risikowahrnehmung zusätzliche, hilfreiche Erkenntnisse liefert.
In Bezug auf die zweite Forschungsfrage wurden Vorsorgeempfehlungen auf zwei verschiedene Arten ergänzt: Erstens wurde das Motiv dafür erklärt, Vorsorge zu kommunizieren (besorgten Menschen Mittel zur Expositionsreduktion an die Hand zu geben). Diese Erklärung des Motivs hatte keinen Effekt auf die Risikowahrnehmung. Zweitens wurde erklärt, warum die empfohlenen Maßnahmen die Exposition in effektiver Weise reduzieren. Diese Erklärung erhöhte die Risikowahrnehmung (unter der Bedingung eingeschätzt, dass keine Vorsorge getroffen wird) beträchtlich. Während eine der Ergänzungen also keine Wirkung hatte, bewirkte die andere gar eine zusätzliche Erhöhung der Risikowahrnehmung.
Im Rahmen der dritten Forschungsfrage wurden zwei mögliche Implikationen des Effekts von Vorsorgeempfehlungen auf die Risikowahrnehmung untersucht. Zum einen wurde die von renommierten Wissenschaftlern aufgestellte, jedoch nie überprüfte Annahme untersucht, dass Vorsorgeempfehlungen Ängste schüren. Zum anderen zeigen Studien, dass Probanden unter Scheinexposition mit EMF teilweise Symptome entwickeln (Nocebo-Effekt). In der vorliegenden Arbeit zeigte sich nach der Rezeption von Vorsorgeempfehlungen weder eine erhöhte state anxiety (momentane Ängstlichkeit), noch ein Nocebo-Effekt unter Scheinexposition von einer angeblichen WLAN-Antenne. Diesen Ergebnissen zufolge sind die mit Vorsorgeempfehlungen verbundenen Kosten also klar begrenzt. Risikowahrnehmung ist in der Gesundheitspsychologie als guter Prädiktor von Verhalten und Verhaltensintention bekannt. Aus den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit wird die Schlussfolgerung gezogen, dass die mit der Rezeption von Vorsorgemaßnahmen verbundene Erhöhung der Risikowahrnehmung zu gering ausfällt, um weitere Effekte nach sich zu ziehen. Es bleibt offen, inwieweit sich die Ergebnisse dieser Arbeit auf andere mögliche Risiken übertragen lassen.
Abstract (englisch):
When technological innovations become publicly available, it is often not entirely clear whether they might have negative effects, e.g. on their user’s health. In that situation, calls for precaution are frequently voiced. Precautionary measures can take different forms, ranging from a complete ban over stricter limits or controls to merely telling users what they can do to decrease possible risks by themselves. The current work focusses on the latter form of precaution – ‘precautionary recommendations’ – and its effects on the recipients of the recommendations.
An innovation that has changed human life profoundly within the last 25 years is modern wireless communication technology. ... mehrMobile phones, laptops, tablets, and other wireless devices emit electromagnetic fields in the radiofrequency range (RF EMFs) that interact with the human body. Most health authorities worldwide agree in the assessment that there is ‘no convincing evidence for detrimental health effects of RF EMFs’. However, some uncertainties remain. This is also reflected in the International Agency for Research on Cancer´s (IARC) assessment of RF EMFs from mobile phones as ‘possibly carcinogenic’. Under these circumstances, many national health authorities give precautionary recommendations, e.g. to reduce personal exposure by using a headset for mobile phone calls. The main benefit of precautionary recommendations is that people would have been protected better in case it turned out that wireless communication devices had detrimental health effects after all. However, precautionary recommendations also involve costs: As part of the current work, a meta-analysis of all studies about the effect of precautionary recommendations on recipients’ risk perception was conducted. The results show that precautionary recommendations increase risk perception of mobile phones and mobile phone base stations. Hence, whereas the main benefit of the recommendations might actually be non-existent, manifest costs exist.
However, the bearing and the implications of this increase in risk perception due to precautionary recommendations is quite unclear. The current work aimed to shed some light on this effect in order to delineate the costs of precautionary recommendations more precisely. Three research questions were posed:
(i) Who reacts with an increase in risk perception when receiving precautionary recommendations?
(ii) Can precautionary recommendations be amended so that they do not increase risk perception?
(iii) What are the implications of the increase in risk perception due to precautionary recommendations?
To investigate these questions, three experiments were conducted in which the participants were confronted with different texts that either did or did not contain various precautionary recommendations. After the participants read the texts, different variables were assessed that were statistically evaluated subsequently.
Regarding the first question, it was analysed whether precautionary recommendations effect people with different personalities in different ways. Trait anxiety emerged as the
variable that interacted with the type of text people read. The current work indicates that precautionary recommendations selectively increase RF EMF risk perceptions of low anxious people. However, the picture becomes more complex when risk perception is assessed with conditional risk perception questions. These questions referred to the hypothetical application of precautionary measures. Two different conditional questions were used in one of the studies: Risk perception under the condition that no precautions are taken and risk perception under the condition that precautions are taken. An important methodological finding of the current work is that the conditional measurement yields useful insights that go beyond those yielded by the traditional, unconditional measurement.
To answer the second research question, precautionary recommendations were amended in two ways: First, a motive for communicating precaution (i.e. providing measures to reduce exposure to those who are concerned) was explained. This explanation did not affect risk perception. Second, it was explained why the measures are effective in reducing personal exposure. Adding this explanation to the precautionary recommendation clearly increased recipients’ risk perception under the condition that no precautions are taken. Thus, whereas one attempt to avoid the increase in risk perception in response to the recommendations had no effect, the other even increased risk perception.
In order to delineate the implications of the effect of precautionary recommendations on risk perception (third research question), two possible implications were analysed. First, although never empirically investigated, some scholars have claimed that precautionary recommendations raise fear and anxiety. Second, nocebo effects have been observed in response to alleged exposure to EMFs in some studies. Results showed that precautionary recommendations neither gave rise to an increased state anxiety, nor resulted in more nocebo responses to sham RF EMF exposure from an alleged WLAN antenna. The current work thus clearly delineates the boundaries of the costs of precautionary measures. The conclusion is drawn that the increase in risk perception, a variable that is generally an important predictor of health-related intentions and behaviour, is too small to have further effects. It remains an open question whether the results can be transferred to other possible risks.