Pharmakologisches Enhancement - Entzauberung eines Hypethemas. TAB-Brief Nr. 40
TAB
Abstract:
Der TAB-Brief thematisiert ein weiteres Mal eine »Hope-, Hype- und Fear-Technologie«. Die Beiträge des Schwerpunkts begründen aus verschiedenen Perspektiven, dass bei einer nüchternen Analyse sehr wenig dafür spricht, von einer relevanten Wissenschafts- und Technologieentwicklung hin zu einer gezielten geistigen Leistungssteigerung sprechen zu können. Es geht vielmehr um den Umfang von und den Umgang mit Leistungsvorgaben und -anforderungen in der globalisierten Ausbildungs- und Arbeitswelt.
Die Ergebnisse des TAB-Projekts »Pharmakologische Interventionen zur Leistungssteigerung – Perspektiven einer weiter verbreiteten Nutzung in Medizin und Alltag« (als Buch unter dem Titel »Der pharmakologisch verbesserte Mensch« erschienen) boten Anlass, dem Thema »Enhancement« zum zweiten Mal einen TAB-Brief-Schwerpunkt zu widmen. Gelingt es mithilfe wissenschaftlich-technischer Entwicklungen wirklich, »Den Menschen ›weiser und geschickter‹ zu machen« und führt uns das in die Gefilde einer »Schönen neuen Leistungssteigerungsgesellschaft«, wie Christopher Coenen im TAB-Brief 33 formulierte?
Eine kritische Analyse der bislang belegten sowie der zukünftig erwartbaren Wirkungen und Nebenwirkungen vermeintlich leistungssteigernder Substanzen bildete ein Fundament des im Frühjahr 2011 abgeschlossenen TAB-Projekts. ... mehrUnd im Zuge der umfassenden Analysen hat sich immer deutlicher herausgeschält: Die Debatte über die angeblich mögliche kognitive Leistungssteigerung durch pharmakologisch wirksame Stoffe wird in weiten Teilen geprägt von falschen Annahmen über Wirkungen und über (fehlende) Nebenwirkungen – und deshalb werden auch die möglichen gesellschaftlichen Folgen häufig unter unrealistischen, illusorischen Annahmen diskutiert. Katrin Gerlinger fasst im ersten Schwerpunktbeitrag »Mentale Leistungssteigerung mit Pharmaka – bisher eine Wirkungsillusion« den entsprechenden Wissensstand zusammen.
Eine Frage, der überraschenderweise in der bisherigen Enhancementdebatte noch niemand tiefer nachgegangen ist, ist die nach den rechtlichen und rechtsethischen Rahmenbedingungen für die Erforschung, Entwicklung und Verbreitung möglicher Enhancementsubstanzen. Anscheinend wurde systematisch übersehen, dass das Forschungsziel bzw. die Substanzwirkung »Leistungssteigerung bei Gesunden« zu den gültigen, in langwierigen politischen Prozessen mühsam etablierten Zulassungsvorschriften für klinische Versuche am Menschen sowie den Vertrieb entsprechender Produkte überhaupt nicht passt. Im zweiten Schwerpunktbeitrag »Freigabe oder Verbot? – (De-)Regulierungsillusionen« erläutert Katrin Gerlinger daher wichtige Elemente und Konsequenzen des normativen Umgangs mit Arznei- und Lebensmitteln.
Im Lauf des TAB-Projekts wurde eine weitere »Leerstelle« der Enhancementdebatte deutlich: die fehlende tiefergehende Befassung mit den Erkenntnissen der Forschung zum Dopinggeschehen im Leistungs- und Breitensport. Dass die Verbindung zur Dopingfrage häufig nur in aufmerksamkeitsheischenden Überschriften oder einleitenden Absätzen hergestellt wird, ist verblüffend. Denn wenn auch gerade der Leistungssport spezifische Eigengesetzlichkeiten aufweist, so handelt es sich dabei doch um dasjenige Teilsystem der Gesellschaft, in dem einerseits messbare Leistung der zentrale Bewertungsmaßstab ist und andererseits eine gezielte Leistungsbeeinflussung durch Training, Technologie und pharmazeutische Wirkstoffe so umfassend wie sonst nirgends verfolgt wird. Relevante Erkenntnisse aus seiner langjährigen Befassung mit den Ursachen und Konsequenzen von Doping im Sport beschreibt Andreas Singler im dritten Schwerpunktbeitrag unter dem Titel »Autonomie- und Nützlichkeitsillusionen beim Doping im Sport«.
Die ersten drei Beiträge des Schwerpunkts widerlegen einen großen Teil der angesprochenen Fehlannahmen und Illusionen der gegenwärtigen Enhancementdebatte. Insgesamt entzaubern die Ergebnisse des TAB-Projekts den auf Wirksamkeitsannahmen beruhenden Hype um das Enhancement im positiven wie im negativen Sinne. Sie relativieren sowohl Erwartungen neuer Dimensionen geistiger Leistungsfähigkeit als auch Befürchtungen des Endes der bisher bekannten menschlichen Natur. Nicht einmal gemäßigte Hoffnungen auf eine verträgliche und wirkungsvolle Unterstützung bei der Bewältigung beruflicher und privater Herausforderungen werden durch diese Analysen genährt. Die einzig plausiblen und ernst zu nehmenden Hinweise ergeben sich auf mögliche negative Aspekte und Konsequenzen des Gebrauchs von Mitteln zur Leistungssteigerung – denn dieser scheint ungeachtet der fehlenden objektiven Wirksamkeit in gewissem Umfang stattzufinden und deutet auf eine problematische Überforderungssituation von Menschen in der heutigen Arbeits- und Lebenswelt hin.
In einer Art Resümee zur langjährigen Befassung des TAB mit dem Thema Enhancement greift der letzte Schwerpunktbeitrag die Frage auf, inwiefern pharmakologisches Enhancement bei aller Entzauberung des Hypes – dennoch oder gerade deshalb – eine gesellschaftliche und politische Herausforderung bildet. Dabei argumentiert Arnold Sauter, dass es wohl zukünftig nicht so sehr um eine wie auch immer geartete »Verbesserung des Menschen«, sondern um den Umfang von und den Umgang mit Leistungsvorgaben und -anforderungen in der globalisierten Ausbildungs- und Arbeitswelt geht – ein Thema, das sich für »Hope, Hype und Fear« wenig eignet, aber von grundsätzlicher sozialer Bedeutung ist.
»Hope, Hype und Fear-Technologien« waren bereits das Schwerpunktthema des letzten TAB-Briefs, der die jüngste EPTA-Konferenz im Oktober 2011 in Berlin flankierte, über die im aktuellen TAB-Brief ebenfalls ausführlich berichtet wird.