Abstract:
Unser Körper ermöglicht es uns, ohne große Anstrengung komplexe Bewegungen auszuführen. Aufgrund der Vielzahl von Freiheitsgraden (DoF) im Muskel-Skelett-System ist unser Körper ein hochredundantes System. Für jede denkbare Bewegung gibt es daher mehrere Lösungsmöglichkeiten, welche wiederum zu einer Vielzahl an Bewegungsausführungen führen.
Von außen betrachtet liegt die Vermutung nahe, dass innerhalb einer zyklischen Bewegung, wie z.B. dem Laufen, immer wieder der gleiche Bewegungsablauf ausgeführt wird. Dies führt oft zu der Annahme, dass die Beobachtung eines einzigen Laufzyklus ausreicht, um die Biomechanik des Laufens zu analysieren. ... mehrDabei werden allerdings Informationen übersehen, die in den Variationen zwischen aufeinanderfolgenden Zyklen liegen. Tatsächlich könnte eine reine Reproduktion desselben Laufzyklus unter gleichen Bedingungen zu Verletzungen führen, da immer dieselben Strukturen in demselben Maße belastet werden würden. Jedoch ist der Zustand des Läufers und seiner Randbedingungen von Laufzyklus zu Laufzyklus nicht immer identisch, daher ist eine exakte Reproduktion desselben Bewegungsmusters unwahrscheinlich. Eine mögliche Veränderung der Randbedingungen könnte das Auftreten von Ermüdung sein, welche bei Ausdauersportarten unvermeidlich ist. Die Vielzahl gleichwertiger Bewegungslösungen und die daraus resultierende Variabilität zwischen einzelnen Laufzyklen eines Läufers sind daher wertvolle Merkmale und ein wichtiges Thema für Forschungsarbeiten im Kontext der menschlichen Bewegungskoordination.
Auf dem Forschungsgebiet der Bewegungsvariabilität wurden zwei vielversprechende spezifische Methoden entwickelt und auf biomechanische Daten angewendet: die Uncontrolled
Manifold-Methode (UCM) und die Tolerance Noise Covariation-Methode (TNC). Die UCM hat ihren Ursprung im Forschungsfeld der motorischen Kontrolle, wohingegen die TNC aus dem Bereich des motorischen Lernens kommt. Mit Hilfe der UCM und der TNC Methoden wird analysiert, wie die Variabilität auf der Ebene der Gelenkwinkel mit der Variabilität der Zielgröße zusammenhängt. Sie wurden hauptsächlich auf eingeschränkte Bewegungen mit nur wenigen DoF angewendet und kaum zur Untersuchung von Ganzkörperbewegungen, wie z.B. des Laufens, genutzt. Bei Untersuchungen des Gehens wurde festgestellt, dass trotz Zyklus-zu-Zyklus Variabilität (SSV) auf unterschiedlichen Ebenen (z.B. Gelenkwinkel) diese so kanalisiert werden kann, dass eine Zielgröße (z.B. Körperschwerpunk, CoM) über die Zyklen hinweg annähernd konstant bleibt.
Diese Arbeit erörtert auf der Basis von fünf Studien, wie sich Expertise und Ermüdung auf die Laufkinematik auswirken, indem sie nicht nur eine biomechanische Analyse der Effekte von Ermüdung auf die Lauf-Kinematik durchführt, sondern auch komplexe Methoden zur Analyse der Bewegungsvariabilität anwendet. Da diese Methoden in der internationalen sportwissenschaftlichen Forschung bisher kaum Anwendung gefunden haben, wird mit der vorliegenden Arbeit auch geprüft, ob sich die anhand von einfachen, experimentellen Paradigmen der Grundlagenforschung entwickelten Methoden, gewinnbringend auf sportwissenschaftliche Problemstellungen übertragen lassen.
In der ersten Studie wurden die Auswirkungen von Expertise auf die SSV des CoM beim Laufen bei 10 und 15 km/h analysiert. Novizen zeigten bei 15 km/h eine größere Variabilität als
Experten. In der zweiten Studie wurde ein klassischer biomechanischer Ansatz gewählt, um die Ermüdungsreaktionen von erfahrenen Läufern zu untersuchen. Dabei wurden Veränderungen sowohl in Raum-Zeit- und Steifigkeitsparametern, als auch in der Gelenkkinematik gefunden. Diese Ergebnisse zeigten, dass die Kinematik im ermüdeten Zustand deutlich verändert ist. Die dritte Studie erweiterte diese Erkenntnisse durch die Verwendung der UCM-Methode. Dabei wurde ein probandenspezifisches 3D-Modell für den menschlichen Körper eingeführt, um den Ganzkörper-CoM genau berechnen zu können. Es wurden geringe Veränderungen bei Ermüdung gefunden. Dies zeigte, dass erfahrene Läufer in der Lage sind, ihre CoM-Trajektorie auch in einem ermüdeten Zustand zu kontrollieren. In der vierten Studie wurden diese Ergebnisse durch die Verwendung der TNC-Methode erweitert. Es zeigte sich, dass die Variabilität des CoM sowohl in medio-lateraler als auch in vertikaler Richtung mit Ermüdung zunimmt. In der fünften Studie wurde wieder ein klassischer biomechanischer Ansatz gewählt, um die Reaktionen auf Ermüdung zu charakterisieren, dieses Mal bei Lauf-Novizen. Es wurden keine Veränderungen in den Raum-Zeit- und Steifigkeitsparametern gefunden, obwohl die Gelenkkinematik durch die Ermüdung beeinflusst wurde. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Novizen möglicherweise Strategien fehlen, um eine konstante Laufgeschwindigkeit unter Ermüdung beizubehalten.
Mit dieser Studienreihe wird das Wissen über die Auswirkungen von Expertise und Ermüdung auf die Kinematik und SSV beim Laufen erweitert. Nachdem die grundsätzliche Anwendbarkeit von neuen Ansätzen, wie der UCM oder der TNC Methode, auf komplexe sportwissenschaftliche Probleme gezeigt wurde, können diese Methoden bei der Anwendung auf praxisorientierte Probleme in der Sportwissenschaft geprüft und zu verbessert werden.
Abstract (englisch):
Our body enables us to perform complex movements without significant effort. Due to the multitude of degrees of freedom (DoF) in the musculoskeletal system, our body is a highly redundant system. Therefore, for every conceivable movement, there are several possible solutions which in turn lead to a variety of movement executions. In recent years, there has been growing awareness that analysis of this trial-to-trial variability could lead to valuable insights.
From the outside, one could say that within a cyclic motion, like running, the same movement cycle is performed over and over again. ... mehrThis could lead to the assumption that analysis of one running gait cycle would be sufficient to analyze the biomechanics of running. In doing so, one would miss the information hidden in the slight variations between consecutive strides during movement execution. In fact, a pure reproduction of the same stride under the same conditions could lead to injuries, since always the same structures would be under repeated loads. However, it cannot be assumed that the state of the runner and his environment are identical from stride to stride, so an exact reproduction of the same movement pattern is unlikely. One example for this kind of change could be fatigue, which is inevitable in endurance sports. The multitude of equivalent movement solutions and the resulting variability between individual strides are therefore valuable features and an important topic for research in the context of human motion coordination.
Within the research field of movement variability, promising approaches have been developed and applied to biomechanical data. Namely, there is the uncontrolled manifold approach (UCM) and the tolerance noise covariation approach (TNC). The UCM has its origin in the field of motor control whereas the TNC comes from the field of motor learning. The UCM and TNC approaches have been used to analyze how variability at the level of joint angles relates to the variability of the goal-relevant variable. They have mainly been applied to restricted movements with only a few DoF and hardly ever to the study of whole-body movements such as running. So far, there is no study that investigated running by applying these approaches. Analyzing walking, it was found that even though there is stride-to-stride variability (SSV) at one level, e.g. joint angles, it can be channeled to ensure that a goal-relevant variable, e.g. the center of mass (CoM), is relatively constant over various strides.
This thesis extends the knowledge of how expertise and fatigue affect running kinematics based on five studies, not only by performing a joint angle analysis but also by applying complex approaches analyzing movement variability. Since these approaches have rarely been applied in international sports science research so far, the present thesis also examines whether these approaches, originally developed based on simple experimental paradigms of basic research, can be effectively transferred to sports science problems.
In the first study, the effects of expertise on the stride-to-stride variability of the CoM during running were analyzed at 10 and 15 km/h. Novices were found to show greater variability than experts at 15 km/h. In the second study, a classical biomechanical approach was chosen to characterize the reactions to fatigue of expert runners. Changes were found in spatiotemporal and stiffness parameters, as well as in joint kinematics. These results show that kinematics are considerably altered in a fatigued state. The third study extended these findings by use of the UCM approach, where a subject-specific 3D model of the human body was applied to accurately calculate the whole-body CoM. Using the UCM, only minor changes were found with increasing fatigue. This shows that experienced runners are able to control their CoM trajectory in a fatigued state. In the fourth study, these findings were extended by the application of the TNC approach. It was found that variability of the CoM increases with fatigue in both the medio-lateral and vertical directions. In the fifth study, a classical biomechanical approach was again chosen to characterize the reactions to fatigue, this time in novice runners. No changes were found in spatiotemporal or stiffness parameters, though joint kinematics were affected by fatigue. These results indicate that novices might lack strategies to keep up a fixed running speed under fatigue.
With this series of studies, the knowledge of expertise and fatigue effects on kinematics and SSV in running will be expanded. Having demonstrated the fundamental applicability of relatively new approaches such as the UCM and TNC to complex sports science problems, the foundation was built to further test and improve these approaches in the application to real-world problems in applied sports science.