Abstract:
Körperliche Aktivität ist ein wichtiger Bestandteil zur Prävention von Erkrankungen bei gesunden Menschen, sowie auch zur Gesundheitsförderung bei physischen und psychischen Erkrankungen. Bei letzterem besteht dahingehend Evidenz, dass eine Milderung der Begleiterscheinungen einer psychischen Erkrankung mit einer Verbesserung des eigentlichen Krankheitsbildes, das heißt der Hauptsymptome, einhergehen könnte. Studien belegen beispielsweise einen signifikanten Zusammenhang zwischen negativem Affekt, als häufig auftretende Begleiterscheinung bei psychischen Erkrankungen, und Impulsivität, als eines der Hauptsymptome der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). ... mehrSomit wird vermutet, dass eine Verbesserung von negativem Affekt auch gleichzeitig Impulsivität positiv beeinflussen könnte.
Diese genannten Symptome, Gefühle, aber auch Verhaltensweisen, wie beispielsweise körperliche Aktivität, fluktuieren stark innerhalb von Personen über die Zeit und weisen untereinander möglicherweise Zusammenhänge auf. Durch Ambulantes Assessment und wachsendem technischem Fortschritt werden zunehmend einfachere und weniger beschwerliche Möglichkeiten geboten diese dynamischen Prozesse im Alltag adäquat abzubilden und zu untersuchen. Ambulantes Assessment beschreibt dabei das Untersuchen von Personen in ihrem Alltag in Echtzeit mit beispielsweise elektronischen Tagebüchern und Akzelerometern.
Die Hauptziele dieser Arbeit fokussieren sich auf die Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und Stimmung bei Jugendlichen und ADHS PatientInnen, sowie gesunden Kontrollen. Dabei wird untersucht, wie diese von Natur aus dynamischen Variablen über die Zeit zusammenhängen bzw. sich gegenseitig bedingen. Zusätzlich wird eine Übersichtsarbeit (Review) zum Thema „elektronische Tagebücher in der ADHS-Forschung“ vorgestellt, die den Stand der Forschung, sowie Zukunftsperspektiven zur Verbesserung der ADHS-Forschung, durch stetig wachsenden technischen Fortschritt im Ambulanten Assessment, darlegt.
Im ersten der vier Paper dieser Arbeit wurden Jugendliche, zwischen zwölf und siebzehn Jahren, einer willkürlich ausgewählten gemeindenahen Stichprobe (N=113), in ihrem alltäglichen Leben, hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Stimmung und nachfolgender spontaner körperlicher Aktivität, untersucht. Über einen Zeitraum von einer Woche wurden sie durch Ambulantes Assessment (d.h. mit elektronischen Tagebüchern und Akzelerometern) begleitet. Die Ergebnisse zeigen einen Effekt der Stimmungsparameter ‚gute Stimmung‘, ‚Wachheit‘ und ‚Ruhe‘ auf alltägliche spontane körperliche Aktivität (z.B. Treppensteigen) bei Jugendlichen. Im Detail ergab sich ein positiver Zusammenhang zwischen den Stimmungsparametern ‚gute Stimmung‘ und ‚spontaner körperlicher Aktivität‘ sowie auch zwischen ‚Wachheit‘ und ‚spontaner körperlicher Aktivität‘. Zwischen den Variablen ‚Ruhe‘ und ,spontaner körperlicher Aktivität‘ zeigte sich hingegen ein negativer Zusammenhang. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Stimmung einen Effekt auf nachfolgende spontane körperliche Aktivität bei Jugendlichen aufweist.
Im zweiten Paper wurde dieselbe Stichprobe analysiert (d.h. Jugendliche einer willkürlich ausgewählten gemeindenahen Stichprobe; N=113). Hier wurde im Gegensatz zum ersten Paper der Fokus darauf gelegt, ob Stimmung auch eine Konsequenz aus körperlicher Aktivität sein könnte, d.h. ob Stimmung von vorausgehender körperlicher Aktivität beeinflusst werden könnte. Ein weiterer Schwerpunkt befasste sich mit der Frage, ob die Art der körperlichen Aktivität (d.h. alltägliche spontane körperliche Aktivität, sportliche Freizeit-Aktivität, oder Wettkampfsport) differenzielle Effekte auf die Stimmungsparameter ‚gute Stimmung‘, ‚Wachheit‘ und ‚Ruhe‘ zeigen. Bei differenzierter Betrachtung der Art der körperlichen Aktivität und der drei Stimmungsparameter zeigte sich, dass sich die Jugendlichen besser gelaunt und energiegeladener nach alltäglicher spontaner körperlicher Aktivität (z.B. mit dem Hund spazieren gehen), besser gelaunt aber unruhiger nach sportlicher Freizeit-Aktivität (z.B. Skaten) und weniger energiegeladen nach Wettkampfsportarten (z.B. Tennis) fühlten. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Stimmung nicht nur körperliche Aktivität bedingt, sondern umgekehrt auch körperliche Aktivität die Stimmung beeinflussen kann.
Die dritte Publikation in dieser Arbeit ist eine Übersichtsarbeit (Review), die den Stand der Forschung zu elektronischen Tagebuchstudien in der ADHS-Forschung zusammenfasst. Zwanzig Studien mit Kindern und Jugendlichen, sowie dreizehn Studien mit Erwachsenen legen nahe, dass Ambulantes Assessment eine hilfreiche Methode ist, um dynamische Prozesse in ADHS abzubilden, die nicht in der Sprechstunde, im Labor, oder im klinischen Setting erhoben werden können. Ambulantes Assessment kann die psychiatrische Praxis durch die Untersuchung dieser dynamischen Prozesse, die im klinischen Kontext von Bedeutung sein könnten, unterstützen, und somit möglicherweise auf digitalem Wege Diagnosen untermauern (durch die sogenannte „digitale Phänotypisierung“).
Im vierten Paper wurden ADHS PatientInnen (n=143) und gesunde Kontrollen (n=42) über vier Tage mit elektronischen Tagebüchern und Akzelerometern untersucht, um herauszufinden, ob auch bei dieser klinischen Stichprobe Stimmung von vorausgehender körperlicher Aktivität beeinflusst wird. Die ADHS PatientInnen wurden dabei explorativ in zwei Gruppen unterteilt: 1. prädominant unaufmerksam (n=48) und 2. sowohl unaufmerksam als auch hyperaktiv (n=95). Die Ergebnisse zeigen, dass körperliche Aktivität mit nachfolgender Stimmung bei ADHS PatientInnen, abhängig von ihren prädominanten Symptomen, zusammenhängt. Im Detail konnte körperliche Aktivität positiven Affekt in allen Gruppen (1. ADHS prädominant unaufmerksam; 2. ADHS unaufmerksam und hyperaktiv; 3. gesunde Kontrollen) verbessern, wohingegen körperliche Aktivität negativen Affekt nur bei der Teil-Stichprobe, die hyperaktiver war (Gruppe 2), verbessern konnte. Demnach kann die Hypothese, dass körperliche Aktivität einen signifikanten Zusammenhang mit nachfolgender Stimmung in ADHS PatientInnen aufweist, bezogen auf positiven Affekt, bestätigt werden. Für negativen Affekt kann die Hypothese lediglich für diejenigen ADHS PatientInnen bestätigt werden, die hyperaktiver sind.
Abschließend werden im letzten Kapitel Erfahrungen und Limitationen der in dieser Arbeit aufgeführten, sowie vorheriger Ambulanten Assessment Studien zusammengefasst und daraus Implikationen für zukünftige Studien abgeleitet. Vorherige Ambulante Assessment Studien im Bereich ‚körperliche Aktivität und Stimmung‘ zeigten generell Limitationen bezüglich fehlender Kontrollgruppen, Selbstreports statt objektiven Messungen von körperlicher Aktivität und geringer statistischer Power. Des Weiteren gingen Studien häufig nicht auf die Sportart, das Intensitätslevel, Erfolg und Misserfolg, d.h. ein Spiel zu gewinnen oder zu verlieren, oder die Spezifikation der Stimmungsparameter ein. Die allgemeine Diskussion gibt weiterhin einen Überblick über mobile-(m)Health Komponenten, die in den verschiedenen klinischen Studien verwendet wurden und richtet den Fokus vor allem auf deren technischen und methodischen Innovationen. Auf dieser Grundlage werden Implikationen für technische und methodische Anforderungen beschrieben, die in zukünftigen Ambulanten Assessment Studien berücksichtigt werden sollten. Noch dazu beschreibt dieses Kapitel welche Komponenten und Funktionen im Ambulanten Assessment bereits jetzt helfen könnten die klinische Praxis zu unterstützen, indem sie durch die sogenannte ‚digitale Phänotypisierung‘ Diagnosen untermauern. Hier sind beispielsweise kognitive Tasks am Smartphone zu nennen, die als objektives Maß Impulsivität (z.B. mit dem „stop-signal-task“) oder das Arbeitsgedächtnis (z.B. mit dem „spatial n-back or memory-updating task“) testen. Außerdem wird diskutiert, wie Bewegungsmuster in der Akzelerometrie als digitale Marker zur Erkennung von Symptomatik in psychischen Erkrankungen eingesetzt werden könnten. Hier wären beispielsweise kurze Spektren in Bewegungsmustern zu nennen, die sich signifikant zwischen hyperaktiven ADHS PatientInnen und gesunden Kontrollen unterscheiden. Würde ein solcher digitaler Marker, beispielsweise für Hyperaktivität, gefunden werden, könnte er die Diagnostik in psychischen Erkrankungen und somit die klinische Praxis zusätzlich unterstützen.
Abstract (englisch):
Physical activity is a central parameter for preventing disease in healthy individuals and for improving physical and mental health. Regarding mental health, evidence exists that improving co-occurring symptoms of a disorder may also improve a disorder’s main symptoms. For example, as studies have shown that negative affect and impulsivity are related to each other, chances are high that improving the outcome of the main symptom (e.g., impulsivity) of a mental disorder (e.g., ADHD) can be achieved by improving its co-occurrent symptom (e.g., negative affect).
These symptoms, feelings, and behaviors (e.g., physical activity) fluctuate enormously within individuals over time and may be related to each other. ... mehrStudies investigating fluctuating parameters and dynamic processes, which may provide a holistic explanation of how different variables wax and wane within a person over time, have recently increased in number, which has been enabled by technical progress made in the fields of activity tracking and smartphone technologies. With the Ambulatory Assessment method (i.e., measuring using electronic-diaries (e-diaries) and accelerometers), investigating these dynamic processes in real time and in individuals’ everyday life has become feasible, simpler, and less burdensome.
The main goals of this work were to investigate associations between physical activity and mood in a community-based adolescent sample and in individuals with ADHD, as well as in a sample of healthy controls. Hence, we examined how these dynamic variables fluctuate over time and how they are related to each other. In addition, a review provides an overview of e-diary studies in ADHD research (i.e., a state-of-the-art review), summarizing the state-of-the-art and future prospects for how ADHD research could be improved by technical progress made in Ambulatory Assessment.
In the first paper, the association between mood and subsequent incidental physical activity was investigated in the everyday life of a community-based adolescent sample (N=113) between twelve and seventeen years of age. The participants were monitored using the Ambulatory Assessment method (i.e., e-diaries and accelerometers) over one week. The results showed that in adolescents, the mood dimensions of ‘valence’, ‘energetic arousal’, and ‘calmness’ were related to subsequent incidental physical activity (e.g., climbing stairs, walking the dog). Specifically, the mood dimensions of ‘valence’ and ‘energetic arousal’ were positively, and ‘calmness’ was negatively, related to subsequent incidental physical activity. These findings suggest that mood can be an antecedent that drives physical activity in healthy adolescents.
In the second paper, the same community-based adolescent sample (N=113) was used. Herein, the analysis was changed to determine whether mood could be seen solely as an antecedent driving physical activity or whether there is evidence that physical activity also drives subsequent mood as a consequence. In addition, the study considered whether the type of physical activity had an influence on the mood dimensions ‘valence’, ‘energetic arousal’, and ‘calmness’ and divided physical activity into three categories (i.e., incidental physical activity, exercise, and sports). The results showed that physical activity was to be related to subsequent mood in healthy adolescents. Regarding the mood dimensions and physical activity categories in detail, healthy adolescents felt better and more energized after incidental physical activity (e.g., climbing stairs); they felt better but less calm after exercise (e.g., skating); and they felt less energized after sports (e.g., playing tennis). These results suggest that in healthy adolescents, mood is not only an antecedent but also a consequence of physical activity.
The third paper represents a review summarizing the state-of-the-art e-diary studies in ADHD research. Twenty studies with children and adolescents, as well as thirteen studies with adults, showed that Ambulatory Assessment is a helpful method by which to understand dynamic patterns in ADHD that cannot be investigated in physicians’ offices, laboratories, or clinical settings. Furthermore, Ambulatory Assessment can support psychiatric practice by revealing fluctuations over time that could be relevant in a clinical context and, hence, could improve diagnosis (i.e., digital phenotyping).
In the fourth paper, individuals with ADHD (n=143) and healthy controls (n=42) were studied for four days using e-diaries and accelerometers to determine whether physical activity was related to subsequent mood. The individuals with ADHD were exploratively divided into two groups (i.e., Group 1, those who were predominantly inattentive (n=48); and Group 2, those with a combined presentation of symptoms (n=95); i.e., both inattentive and hyperactive). The results showed physical activity to be related to subsequent affect in individuals with ADHD, depending partly on their predominant symptoms. Specifically, positive affect was improved by physical activity in each of the three groups (i.e., 1. the predominantly inattentive; 2. those with combined presentation; and 3. healthy controls), whereas negative affect was improved by physical activity only in the subsample that was more hyperactive than others (i.e., Group 2). Hence, the hypothesis that physical activity is significantly related to subsequent positive affect in individuals with ADHD can be confirmed. However, for negative affect, the hypothesis that physical activity is significantly related to subsequent negative affect can only be confirmed for the individuals with ADHD who are more hyperactive than the others.
The final chapter summarizes the limitations and lessons learned from prior Ambulatory Assessment studies in this field, as well as from our studies, to suggest implications for future investigations. Prior Ambulatory Assessment studies investigating physical activity and mood showed limitations, such as missing control groups, the use of self-report assessments instead of objective approaches for measuring physical activity. Furthermore, studies rarely focused on the parameterization of the type of exercise and intensity thresholds, how successful an exercise was (e.g., winning or losing a game), or the specification of mood dimensions. Further, the general discussion provides an overview of mobile health (mHealth) components that were used in the different trials described in this work and especially focuses on their technical and methodological innovations. On that basis, implications for technical and methodological requirements are described that should be focused on in future Ambulatory Assessment studies. Additionally, this chapter shows which components and features of the Ambulatory Assessment method are already implemented in supporting diagnoses in clinical practice in the sense of digital phenotyping. Cognitive tasks assessed by smartphones, such as an objective measurement for impulsivity (i.e., assessed with the stop-signal task) or working memory (i.e., assessed with the spatial n-back or memory-updating task), are considered here. Furthermore, how movement patterns from accelerometers could be used as digital markers to further identify symptomatology in mental disorders are discussed. It may be that there are microspectra in movement patterns that differ significantly in individuals with ADHD compared to healthy individuals. Finding such digital markers (e.g., for hyperactivity) could support the diagnosis of mental disorders and hence improve clinical practice.