Die mediale Berichterstattung über das Coronavirus war und ist nicht nur aufgrund ihres enormen Umfangs (etwa Maurer et al. 2021) außergewöhnlich. Sie erscheint zudem in ungewöhnlich hohem Maße auf einzelne Forschende fokussiert, die etwa im Falle von Christian Drosten zu regelrechten Medienstars avancierten. Hier zeigt sich in besonderem Ausmaß ein Phänomen, dem in der Wissenschaftskommunikationsforschung bisher vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde: Personalisierung.
Personalisierung ist sowohl ein zentraler Nachrichtenfaktor als auch ein journalistisches Stilmittel, bei dem der Versuch unternommen wird, innerhalb der Medienberichterstattung über Themen und Ereignisse einen Bezug zu (Einzel-)Personen (und ggf. ihren persönlichen Geschichten) herzustellen. Durch die Verknüpfung eines abstrakten Themas mit konkreten Personen wird der Berichterstattungsgegenstand für die Rezipient:innen beachtenswerter, greifbarer und verständlicher (u. a. Blöbaum 2013; Eisenegger 2010; Hoffmann & Raupp 2006; Raupp 2021; Van Aelst et al. 2012). Rezipient:innen können etwa Inhalte (stark) personalisierter Beiträge besser verarbeiten und erinnern, als nicht-personalisierte, und auch die kommunikative Anschlussfähigkeit wird durch Personalisierung erhöht (etwa Hoffmann & Raupp 2006; Lee & Oh 2012; Price & Czilli 1996). ... mehr
Das Konzept der Personalisierung ist in vielen Forschungsfeldern der Kommunikationswissenschaft bereits intensiv erforscht worden – wahrscheinlich am häufigsten als Nachrichtenfaktor in Studien, die sich mit journalistischen Selektionskriterien befassen. Insbesondere in der politischen Kommunikationsforschung spielt Personalisierung eine große Rolle (Eisenegger 2010; Raupp 2021). Forschende unterscheiden hier grob zwei Formen der Personalisierung: den bereits beschriebenen Fokus auf Einzelpersonen, der als Individualisierung bezeichnet wird, sowie eine (vermeintlich) zunehmende Tendenz, über rollenferne Eigenschaften dieser Personen zu berichten (sog. Privatisierung) (u. a. Van Aelst et al. 2012).
Im Forschungsfeld der Wissenschaftskommunikation spielt die Analyse von Personalisierungsphänomenen im genannten Sinne keine vergleichbar große Rolle. Zu erwähnen ist eine Inhaltsanalyse von Berg (2018), die keinen signifikanten Anstieg des Personalisierungsgrades in der Wissenschaftsberichterstattung deutscher Printmedien innerhalb von 20 Jahren feststellen konnte. Darüber hinaus gibt es Analysen, die sich mit der „visibility“ von Forschenden in der Medienberichterstattung beschäftigen und eine wachsende mediale Sichtbarkeit von Wissenschaftler:innen feststellen (u. a. Albæk et al. 2003; Huber 2014; Nölleke 2013; Peters et al. 2008). Eine Brücke zur Personalisierung, also der Frage, ob bzw. wie stark die Wissenschaftsberichterstattung auf einzelne (wissenschaftliche) Persönlichkeiten fokussiert, schlagen diese Analysen jedoch nicht. Zur Schließung dieser Forschungslücke soll unsere Analyse beitragen.
Wir halten dies für relevant, da die erwähnten positiven Effekte vermuten lassen, dass die mediale Berichterstattung über risikobehaftete wissenschaftsnahe Themen von einer Personalisierung prinzipiell profitieren kann. Wissenschaftsnahe Themen sind i.d.R. äußerst abstrakt und für die Rezipient:innen nicht persönlich erfahrbar, zudem im Fall von Risikophänomenen unsicher und unübersichtlich. In solchen Situationen kann eine „charismatische Personalisierung“ (Eisenegger 2010: 21) vertrauensstiftend wirken und dazu beitragen, dass wissenschaftsnahe (Risiko-)Themen stärker rezipiert, leichter verarbeitet, verstanden und erinnert werden. Diskutiert werden jedoch auch potentielle Risiken durch eine (stark) personalisierte Kommunikation, etwa das Zurückdrängen sachbezogener Inhalte oder die Bewertung von Sachverhalten auf Basis von Personenmerkmalen (etwa Eisenegger 2010; Hoffmann & Raupp 2006; Van Aelst et al. 2012).
In Anlehnung an die politische Kommunikationsforschung und das Verständnis von Personalisierung im Sinne einer Individualisierung analysieren wir, wie häufig und wie fokussiert in der medialen Berichterstattung über wissenschaftsnahe (Risiko-)Themen auf konkrete Einzelpersonen referenziert wird und wer die herausstechenden Persönlichkeiten (insbesondere Forschenden) sind. Unsere Forschungsfragen lauten:
FF1: Wie stark individualisiert ist die Berichterstattung über ausgewählte wissenschaftsnahe (Risiko-)Themen?
FF2: Wie stark fokussiert ist diese Berichterstattung auf konkrete Einzelpersonen?
FF3: Wie präsent sind speziell (einzelne) Wissenschaftler:innen in der Berichterstattung über ausgewählte wissenschaftsnahe (Risiko-)Themen?
FF4: Welche Merkmale haben die Forschenden, auf die am häufigsten verwiesen wird?
Diese Fragen analysieren wir themenvergleichend, da hinsichtlich der Akteur:innenstruktur Unterschiede zwischen verschiedenen Wissenschaftsthemen zu erwarten sind (etwa Schäfer 2007).
Methodisches Vorgehen
Wir haben quantitative Inhaltsanalysen der medialen Berichterstattung über zehn wissenschaftsnahe (Risiko-)Themen durchgeführt (Tab. 1). Diese Themen variieren u. a. hinsichtlich ihres Politisierungsgrades und ihrer gesellschaftlichen Relevanz – zwei Aspekte, die die Akteur:innenstruktur beeinflussen dürften.
Unsere Daten stammen aus zwei separat durchgeführten Forschungsprojekten, die im Zuge der vorliegenden Analyse zusammengeführt wurden. Dies hat zur Folge, dass sich die Untersuchungszeiträume und Mediensamples, die der Analyse der einzelnen Themen zugrunde liegen, sowie das methodische Vorgehen leicht voneinander unterscheiden (Tab. 1). So wurden die Akteur:innen im ersten Projekt noch vollständig händisch identifiziert, wohingegen im zweiten Projekt in einem ersten Analyseschritt ein automatisiertes Verfahren verwendet wurde (Named Entity Recognition). Dessen Ergebnisse wurden in einem zweiten Schritt als Grundlage verwendet, um analog zum ersten Projekt Referenzen auf aktive (direkt oder indirekt zitierte) Akteur:innen zu bestimmen. Die Häufigkeit der Referenzierung auf Einzelpersonen wurde damit ebenso wie die zusätzliche Kategorisierung dieser Personen hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu einem Gesellschaftsbereich (etwa politische, oder wissenschaftliche Akteur:innen), ihres Geschlechts, ihrer nationalen Verortung sowie (bei Forschenden) ihrer Publikationsstatistiken nach einheitlichen Codierregeln vorgenommen, sodass die Daten vergleichbar sind. Zusätzlich ermöglichen beide Projekte je verschiedene ergänzende Analysen. In der NER-gestützten Analyse können wir passive und aktive Akteur:innen unterscheiden. In den händischen Analysen haben wir neben individuellen auch institutionelle und generische Akteur:innen codiert. Die Intercoderreliabilitätswerte lagen in beiden Projekten in einem Bereich von 0,63 bis 1 (Krippendorff’s Alpha).
Ergebnisse
Insgesamt haben wir 7547 Artikel mit 14.878 Referenzierungen auf individuelle Personen analysiert. Im Rahmen dieses Extended Abstracts können wir nur einzelne Befunde anreißen.
FF1: Die Zahl der Personennennungen steigt im Zeitverlauf klar an (im Schnitt von 8,4 um die Jahrtausendwende auf 11,3 Akteur:innen pro Artikel um 2018), das gilt allerdings nur begrenzt für die Zahl aktiver Akteur:innen. Das Verhältnis von passiven und aktiven Akteur:innen verschiebt sich so im Zeitverlauf zugunsten der passiven. Zwischen den verschiedenen Themen gibt es nur geringe Unterschiede in der Zahl der referenzierten Akteur:innen, wenn für die Artikellänge kontrolliert wird (im Schnitt 1,5 bis zwei aktive Akteur:innen pro Artikel).
FF2: Um die Fokussierung auf Einzelpersonen zu quantifizieren, haben wir den Anteil der Referenzierungen berechnet, der auf bestimmte Perzentile der Akteur:innen entfällt (z. B.: Wie viel Prozent der Referenzierungen entfällt auf die 1, 10, 25 % präsentesten Akteur:innen?). Hier unterscheidet sich der Grad der Konzentration je nach Thema zum Teil beträchtlich, was möglicherweise mit dem Grad der Politisierung der Themen oder ihrer regionalen Nähe erklärt werden kann. Politisierte Diskurse (Corona, Klimawandel) und solche mit regionalem Bezug (Dioxin und Glyphosat) weisen eine relativ starke Konzentration auf wenige Akteur:innen auf, während die Konzentration bei weniger politisierten Diskursen (Antibiotikaresistenz, Neurowissenschaften) oder Themen mit geringerem regionalen Bezug (Ebola) deutlich niedriger ausfällt.
FF3: Wenn nur Forschende betrachtet werden, sticht Corona durch eine sehr hohe Konzentration der Referenzierungen auf einzelne Wissenschaftler:innen heraus (Abb. 1). Stark präsente wissenschaftliche Akteur:innen (häufig Vertreter:innen der wissenschaftlichen Administration) gibt es bei fast allen Themen, bei einzelnen stellen sie sogar die Akteur:innen mit den meisten Referenzierungen dar (Ebola, Antibiotikaresistenz, Grippepandemie).
FF4: Die präsentesten Forschenden sind bei allen Themen in der Mehrzahl in Deutschland ansässige, männliche Akteure, allerdings ist der Frauenanteil nicht systematisch geringer als unter allen referenzierten Forschenden. Zusätzlich weisen die präsentesten Forschenden (für ihr Forschungsfeld) überdurchschnittlich viele wissenschaftliche Publikationen und Zitierungen auf.