Einfluss des Science Media Centers Germany auf den Wissenschaftsjournalismus in Deutschland
Der diesjährige Call for Papers wirft u.a. die Frage auf, wer heute wissenschaftliches Wissen im gesellschaftlichen Diskurs zur Verfügung stellt. Science Media Centers sind relativ neue Organisationen, die sich in bislang sieben Ländern dieser Aufgabe an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und (Medien-)Öffentlichkeit angenommen haben. Ihr Ziel besteht vor allem darin, relevante Anlässe aufzugreifen und wissenschaftliche Expertisen in öffentliche Sinnstiftungsprozesse zu vermitteln. Im Rahmen unseres Vortrags präsentieren wir eine Analyse des Einflusses des deutschen Science Media Centers (SMC) auf den Wissenschaftsjournalismus in Deutschland, und zwar hinsichtlich 1. des Quellenprofils in Artikeln mit Wissenschaftsbezug, 2. der Thematisierungsleistung des Wissenschaftsjournalismus und 3. der Sichtbarkeit wissenschaftlicher Expert:innen.
Im Wege eines Fall-Kontroll-Designs beantworten wir folgende Forschungsfragen:
FF1: Unterscheidet sich das Quellenprofil von Artikeln, die mit Beteiligung des SMC verfasst worden sind von denen, die kein SMC-Material verwenden?
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FF2: Werden wissenschaftliche Anlässe, die das SMC auswählt, kongruenter durch den deutschen Journalismus aufgegriffen als ähnliche Anlässe, die von deutschen Qualitätsmedien ausgewählt werden?
FF3: Haben die Interventionen des SMC einen mittelfristigen Effekt auf die öffentliche Sichtbarkeit ausgewählter Expert:innen?
Die bisher verfügbare Forschungsliteratur befasst sich gestützt u.a. auf Interviews mit Stakeholdern, Mitarbeiter:innen und/oder Redaktionsbeobachtungen eher sehr grundsätzlich mit der Frage, was diese Zentren aus organisationssoziologischer (Rödder, 2015, 2020), wissenssoziologischer (Broer & Pröschel, 2022) oder journalismustheoretischer (Buschow et al.,
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2022) Sicht sind. Einflüsse der Aktivitäten des SMC Germany (oder der anderen Zentren) auf den Journalismus sind bislang kaum untersucht worden (Halbach, 2021; Williams & Gajevic, 2013).
Methode
Zur Beantwortung der Frage nach dem Quellenprofil von Artikeln haben wir eine Inhaltsanalyse sämtlicher Artikel vorgenommen, die in 43 Online- und Offline-Medien in Deutschland, Österreich und der Schweiz einen der 86 Anlässe aufgegriffen haben, zu denen das SMC zwischen Januar und September 2022 Expert:innenstatements verschickt hat (ermittelt durch eine Stichwortsuche). Dieser Korpus von 1592 Artikeln wurde in eine Fall- und eine Kontrollgruppe unterteilt. Die Fallgruppe bilden Artikel, die mindestens ein SMC-Expert:innenstatement enthalten (33 % aller Artikel), die Kontrollgruppe Artikel, die kein SMC-Material genutzt haben (66 %). Anschließend haben wir die Quellenstruktur beider Artikelgruppen miteinander verglichen. Dazu haben wir vorab innerhalb aller Artikel mittels Named Entitiy Recognition alle zitierten Akteur:innen identifiziert und diese durch eine manuelle Codierung hinsichtlich verschiedener Eigenschaften (u.a. Geschlecht, Gesellschaftsbereich) klassifiziert, die Reliabilitätswerte (Cohens Kappa) lagen zwischen .79 und .98.
Um zu prüfen, ob die vom SMC ausgewählten wissenschaftlichen Anlässe kongruenter durch den deutschen Wissenschaftsjournalismus thematisiert werden, als strukturähnliche Anlässe, die durch Qualitätsmedien ausgewählt wurden, haben wir die 86 SMC-Anlässe mit 70 ähnlichen Anlässen (i.d.R. Studienergebnisse) verglichen, die fünf deutsche Qualitätsmedien (SZ, FAZ, Welt, Stuttgarter Zeitung und Tagesspiegel) binnen dreier Wochen in 2018 und 2019 in ihren Wissenschaftsressorts aufgegriffen haben. Wir haben erhoben, wie viele der jeweiligen Anlässe (SMC-Anlässe versus Qualitätsmedien-Anlässe) von 28 deutschen Medientiteln zeitgleich thematisiert worden sind (erneute Stichwortsuche).
Um zu prüfen, ob SMC-Interventionen für die ausgewählten Expert:innen auch mittelfristig Effekte auf deren öffentliche Sichtbarkeit haben, haben wir für eine Zufallsstichprobe von 200 aller
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2604 SMC-Expert:innen erhoben, wie oft diese je ein Jahr vor und ein Jahr nach einer SMC-Intervention in 28 deutschen Medientiteln namentlich genannt wurden. Der Untersuchungszeitraum umfasste die Jahre 2016-2022. Unterschiede in der Häufigkeit der Nennungen können auf einen Effekt der Intervention hindeuten.
Ergebnisse
1) Der Vergleich von Artikeln über dieselben Anlässe ergibt erhebliche Unterschiede im Quellenprofil, abhängig davon, ob SMC-Material verwendet wurde oder nicht. Artikel mit SMC-Beteiligung sind länger, zitieren durchschnittlich knapp eine Quelle mehr als die Vergleichsgruppe und weisen eine signifikant andere Akteur:innenstruktur auf. In vom SMC beeinflussten Artikeln dominieren Wissenschaftler:innen im Unterschied zur Vergleichsgruppe stark, diese Dominanz geht auf Kosten politisch exekutiver Akteur:innen, die nur schwach vertreten sind, der Frauenanteil in SMC-beeinflussten Artikeln (18 %) ist niedriger als in der Vergleichsgruppe (25 %).
2) Das SMC greift Anlässe auf, über die erheblich kongruenter berichtet wird als über die Anlässe der Vergleichsgruppe. Etwa ein Fünftel aller Anlässe wird von mehr als der Hälfte aller 28 Medientitel des Samples aufgegriffen. In der Vergleichsgruppe trifft das auf keinen einzigen Anlass zu.
3) Interventionen des SMC führen in Einzelfällen zu einer ganz erheblichen Steigerung der öffentlichen Sichtbarkeit von Expert:innen. Ein genereller Zusammenhang zwischen SMC-Interventionen und der Sichtbarkeit von Expert:innen späterhin besteht aber nicht.
Trotz nennenswerter Limitationen (etwa fehlender Kausalnachweis) deuten unsere Befunde auf einen nennenswerten Effekt der SMC-Interventionen auf die Struktur der Berichterstattung hin. SMC-Interventionen scheinen die Quellenstruktur von Artikeln stark zu verändern, eine
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Fokussierung auf einzelne Anlässe zu begünstigen und einzelnen Expert:innen auch über eine konkrete Intervention hinaus zu nennenswerter medialer Sichtbarkeit zu verhelfen.
Literatur
Broer, I., & Pröschel, L. (2022). Knowledge broker, trust broker, value broker: The roles of the Science Media Center during the COVID-19 pandemic. Studies in Communication Sciences, 22(1). https://doi.org/10.24434/j.scoms.2022.01.3070
Buschow, C., Suhr, M., & Serger, H. (2022). Media Work as Field Advancement: The Case of Science Media Center Germany. Media and Communication, 10(1), 99–109. https://doi.org/10.17645/mac.v10i1.4454
Halbach, M. (2021). Wissenschaft macht die Welle: Eine Charakterisierung der deutschsprachigen Wissenschaftsberichterstattung unter dem Einfluss des Science Media Center Germany [Unveröffentlichte Masterarbeit]. Dortmund.
Rödder, S. (2015). Science Media Centres and public policy. Science and Public Policy, 42(3), 387–400. https://doi.org/10.1093/scipol/scu057
Rödder, S. (2020). Organisation matters: towards an organisational sociology of science communication. Journal of Communication Management, 24(3), 169–188. https://doi.org/10.1108/JCOM-06-2019-0093
Williams, A., & Gajevic, S. (2013). Selling Science? Journalism Studies, 14(4), 507–522. https://doi.org/10.1080/1461670X.2012.718576