Abstract:
Für den Aufbau eines Lebensstandards, wie ihn die Gesellschaft in Deutschland hat, benötigt es seit jeher den Einsatz mineralischer Rohstoffe wie auch Energierohstoffe. Um den hoch entwickelten Status zu halten sowie Klima-, Energie- und Industrieziele zu erreichen und damit global konkurrenzfähig zu bleiben, werden auch weiterhin Rohstoffe benötigt. Die Technologien, mit denen die anstehenden Veränderungen im Industrie- und Verkehrssektor realisiert werden sollen, bedingen den Einsatz von potenziell kritischen Rohstoffen, darunter auch den der Metalle Lithium, Iridium, Scandium und die Seltene Erden Elemente.
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Mit Steine- und Erden-Rohstoffen kann sich Deutschland aus heimischen Lagerstätten selbst versorgen. Bei Kohlenwasserstoffen als Energieträger und Rohstoff, Industriemineralen, metallischen Rohstoffen sowie Halberzeugnissen ist die deutsche Industrie weitestgehend auf Importe vom internationalen Markt angewiesen. Die Kreislaufwirtschaft kann bei Stahl, Aluminium, Kupfer und Zink zur Bedarfsdeckung in Deutschland beitragen. Ansonsten ist das Recycling für die Bereitstellung von Sekundärrohstoffen, wo technisch, ökonomisch und ökologisch möglich, noch nachhaltig auszubauen.
Um mögliche Herausforderungen bei der gegenwärtigen und zukünftigen Rohstoffversorgung Deutschlands im Jahr 2030 aufzudecken, werden Experteninterviews durchgeführt sowie praxisnahe Fallbeispiele mit Szenarioanalysen für den Bedarf an Lithium, Iridium, Scandium und den Seltene Erden Elementen: Neodym, Praseodym, Dysprosium und Terbium konzipiert und gerechnet. In diesem Zusammenhang werden die unterschiedlichen Rohstoffwertschöpfungsketten und die Stellung Deutschlands im internationalen Kontext näher betrachtet.
Die Durchführung und Auswertung von Experteninterviews mit 34 Experten aus Unternehmen der Exploration und Produktion sowie der Rohstoffverarbeitung, aus Industrie- und Naturschutzverbänden, Wissenschaft, Landesbergbehörden und Ministerien geben Aufschluss über die Lage der Rohstoffversorgung in Deutschland im Jahr 2021. Zu dieser Zeit ist das Stimmungsbild bereits von der COVID-19-Pandemie geprägt. Die Experten benennen 28 Herausforderungen, welche sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten aktiv beeinflussen. Als große Hürden werden vor allem die fehlende Akzeptanz für inländische Rohstoffprojekte sowie die geringere Konkurrenzfähigkeit Deutschlands bei der globalen Rohstoffbeschaffung wahrgenommen. Auch die Dauer der Genehmigungsverfahren für Rohstoffförderprojekte, der Fachkräftemangel und die Interessenskonflikte verschiedener Akteure werden von den Experten als besonders hinderlich erachtet. Die Lage für die heimische Förderung wird als eher pessimistisch und die Bergbaubranche als Auslaufmodell eingeschätzt.
Die Experten äußern sich auch zur Rolle des Staates und definieren notwendige Randbedingungen, wie beispielsweise mehr staatliche Unterstützung bei der heimischen Rohstoffförderung, bei Auslandstätigkeiten von deutschen Unternehmen oder eine stärkere Einbindung des Themas in die Außen- wie Innenpolitik, die Deutschland bei der Rohstoffversorgung konkurrenz- und zukunftsfähiger aufstellen sollen. Das vorhandene Fachwissen sowie technische Innovationen werden als Maßnahmen zur Weiterentwicklung und Erhalt verschiedener Branchen und folglich als Basis einer resilienten Rohstoffversorgung für die deutsche Industrie gesehen.
Das erste Fallbeispiel behandelt Lithium. Das leichteste Metall des Periodensystems wird in der Kathode von Lithium-Ionen-Batterien (LIBs) verbaut. LIBs stellen aktuell den führenden Energiespeicher für Elektrofahrzeuge mit Batterie (BEV) dar. Bis zum Jahr 2030 sollen in Deutschland über zehn Batteriezellenproduktionsstandorte entstehen, europaweit über 30. Die Elektrodenmetalle (Lithium, Nickel, Kobalt, Mangan, Aluminium) müssen derzeit vom Weltmarkt zugekauft werden. Die durchgeführte Szenarioanalyse ergibt, dass die Batteriezellenproduktion in Deutschland im Jahr 2030 zwischen 60,4 kt LCE (Lithiumkarbonatäquivalent) und 173,2 kt LCE benötigen wird.
Um den Bedarf an Lithium auch heimisch bzw. durch europäische Ressourcen decken zu können, wird die Gewinnung von Lithium aus Lagerstätten der EU-27 in verschiedenen Projekten angestrebt. Stand Mai 2022 existieren sieben Projekte in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium, die eine industrielle Förderung von Lithium aus konventionellen, magmatischen oder sedimentären Lagerstätten sowie aus unkonventionellen Lagerstätten, geothermalen Solen, je nach Projekt ab 2024, 2025 oder 2026 vorsehen. Die Verfügbarkeit des Primärlithiums aus den sieben EU-27 Projekten wird mit maximal ca. 39,4 kt LCE/a ermittelt. Eine Bereitstellung von Sekundärlithium wird mit maximal ca. 6,9 kt LCE/a kalkuliert. Dementsprechend bleiben je nach Szenario zwischen 47,5 kt LCE/a und 173,2 kt LCE/a, die im Jahr 2030 über Lieferketten aus dem außereuropäischen Ausland zu decken wären, was je nach Preisannahme ein monetäres Volumen zwischen 1,2 und 11,5 Mrd. US$ darstellen würde. Werden bestehende Abnahmeverträge der Lithiumprojekte in der EU-27 miteingerechnet und eine Reduktion des Lithiumverbrauchs in den Kathoden sowie Effizienzsteigerungen im Recycling angenommen, könnte das Primär- und Sekundärlithium aus der EU-27 den Bedarf an Lithium für die Elektroden für die Batteriezellenproduktion in Deutschland im Jahr 2030 zu maximal 34,5 % decken. Es resultiert eine bestehende Importabhängigkeit für das Kathodenmetall Lithium für Deutschland.
Weitere innovative Fördermethoden und Aufbereitungstechnologien, wie beispielsweise die Lithiumgewinnung aus Grubenwasser ehemaliger Bergwerke oder Produktionswässern aus Erdgas- oder Erdölförderungen, an denen jüngst geforscht wird, könnten bei technischer und wirtschaftlicher Realisation das Angebot an europäischem Lithium erhöhen. Unabdingbar sind ebenso die Weiterentwicklung und der Ausbau der Recyclingmöglichkeiten innerhalb Europas. Die Mengen an Primär- und Sekundärlithium werden jedoch unzureichend für den Bedarf im Jahr 2030 bleiben. Die hinzukommende mangelnde Infrastruktur für die Lithiumraffination und hohe Energiekosten werden keine autarke Produktion von Lithium-Ionen-Batteriezellen im Jahr 2030 in Europa zulassen. Wenn Europa nicht in alle Prozessschritte der Wertschöpfungskette investiert, wird es weiterhin von asiatischen, insbesondere von chinesischen Produzenten abhängig sein.
Im zweiten und dritten Fallbeispiel wird der Bedarf ausgewählter, potenziell kritischer Rohstoffe ermittelt, welche für die Erzeugung von Wasserstoff zur stofflichen Nutzung in der Stahlproduktion im Jahr 2030 in Deutschland notwendig sind. Der Wirtschaftszweig „Erzeugung und erste Bearbeitung von Eisen und Stahl“ (WZ 24 1-3) ist der zweitgrößte Treibhausgas-Emittent der deutschen Industrie. Um die (Kohlenstoffdioxid-)Emissionen in der Stahlherstellung zu minimieren, wird der Einsatz von Wasserstoff in Pilotprojekten erprobt. Um Wasserstoff grün zu erzeugen, benötigt es Elektrolyseure, die mit Strom aus Erneuerbaren Energien gespeist werden. Im gewählten Fallbeispiel geschieht dies mit Energie aus Windkraftanlagen (WKAs). Der Bau eines Protonen-Austausch-Membran-Elektrolyseurs (PEM) bedingt den Einsatz von Iridium, der eines Festoxid-Elektrolyseurs (SO) den von Scandium. In WKAs werden die Seltene Erden Elemente Neodym, Praseodym, Dysprosium und Terbium in Permanentmagneten eingesetzt.
Für die Erzeugung von Wasserstoff zur stofflichen Nutzung in der Stahlproduktion im Jahr 2030 in Deutschland werden zwischen 4,2 GW und 5,6 GW Elektrolysekapazitäten benötigt. Bei einem Marktanteil von 45 % der PEM-Elektrolyse (PEMEL) in Deutschland bedarf es zwischen 2,8 % (0,2 t) und 4,3 % (0,3 t) der globalen Iridiumförderung aus dem Jahr 2018 für die einmalige Errichtung der Anlagen mit einer Lebensdauer von ca. 20 Jahren. Sollte die SO-Elektrolyse (SOEL) 10 % der Marktanteile einnehmen, wird sich der Scandiumbedarf für den Bau der Anlagen im Fallbeispiel zwischen 0,2 % (0,02 t) und 0,6 % (0,05 t) der globalen Förderung aus dem gleichen Jahr bewegen. Um die nötige Energie von ca. 36,5 TWh für die Wasserelektrolyse zu generieren, benötigt es eine installierte Leistung zwischen 15,3 GW und 20,9 GW Onshore sowie 2,2 GW und 3,0 GW Offshore. Für die Errichtung der Anlagen werden zwischen 821,5 t und 1050,2 t an Neodym, zwischen 168,2 t und 215,8 t an Praseodym, zwischen 174,8 t und 231,7 t an Dysprosium und zwischen 30,6 t und 39,0 t an Terbium notwendig sein.
Wenn keine neuen Lagerstätten mit der Gewinnung von Iridium als Beiprodukt (z. B. Nickel-Kupfer-Lagerstätten) entwickelt werden und sich die Marktaufteilung der Elektrolyseurtechnologien nicht stärker hin zu Alternativen mit einem geringeren oder keinem Verbrauch an potenziell kritischen Rohstoffen entwickelt, kann die Verfügbarkeit von Iridium für Deutschland kritisch werden. Aufgrund der globalen hohen Nachfrage nach Seltene Erden Elementen und der Monopolstellung Chinas in der Raffination kann für die Verfügbarkeit dieser für Deutschland die europäische Förderung beispielsweise in Schweden oder Grönland und der Aufbau einer europäischen Raffination entscheidend sein.
Zur Reduktion der Abhängigkeit von Rohstoffimporten und Importen von Halberzeugnissen in Deutschland sind die Entdeckung neuer Lagerstätten und der Zugang zu diesen durch unabhängige Unternehmen, der Aufbau bzw. die Beibehaltung einer Verhüttungs- und Raffinationsinfrastruktur in Europa, Materialeffizienzsteigerungen, die Förderung von nachhaltigen Technologien und die Etablierung einer europäischen Recyclingwertschöpfungskette unabdingbar.
Abstract (englisch):
To build a standard of living like the one the society in Germany has, it has always required the use of mineral raw materials as well as energy raw materials. In order to maintain the highly developed status, to achieve climate, energy and industrial goals and thus to remain globally competitive, raw materials will continue to be needed. The technologies to realize the upcoming changes in the industrial and transportation sectors require the use of potentially critical raw materials, including lithium, iridium, scandium, and the rare earth elements.
In terms of stone and earth raw materials, Germany can supply itself from domestic deposits. ... mehrIn the case of hydrocarbons as an energy source and a raw material, industrial minerals, metallic raw materials and semi-finished products, German industry is largely dependent on imports from the international market. The circular economy can contribute to meeting demand in Germany for steel, aluminum, copper, and zinc; otherwise, recycling for the provision of secondary raw materials must still be sustainably expanded where technically, economically, and ecologically possible.
To uncover possible challenges in the current and future supply (in the year 2030) of raw materials in Germany, expert interviews will be conducted as well as practical case studies with scenario analyses will be designed and calculated to investigate the demand for lithium, iridium, scandium, and the rare earth elements: Neodymium, Praseodymium, Dysprosium and Terbium. Different raw material value chains and the position of Germany in the international context are examined in more detail.
Conducting and evaluating expert interviews with 34 experts from companies in exploration and production as well as raw materials processing, from industrial and nature conservation associations, science, state mining authorities and ministries provide information about raw material supply in Germany in 2021. At that time, the view is already dominated by the COVID-19 pandemic. The experts name 28 challenges, which actively influence them in the performance of their activities. The major obstacles perceived are the lack of acceptance for domestic raw material projects and Germany's reduced competitiveness in global raw material procurement. The experts also consider the duration of approval procedures for raw material extraction projects, the shortage of skilled workers and conflicts of interest between various players as particularly obstructive. The situation for domestic extraction is seen as rather pessimistic and the mining industry as a discontinued model.
The experts also comment on the role of the state and define necessary boundary conditions, such as more state support for domestic raw materials production, for foreign activities of German companies or a stronger integration of the topic in foreign and domestic policy, which should make Germany more competitive and sustainable in the supply of raw materials. The existing expertise as well as technical innovations are seen as measures to further develop and maintain various sectors and consequently as the basis of a resilient raw material supply for German industry.
The first case study deals with lithium. The lightest metal in the periodic table is used in the cathode of lithium-ion batteries (LIBs). LIBs currently represent the leading energy storage material for battery electric vehicles (BEVs). By 2030, more than ten battery cell production sites are expected to be established in Germany, and more than 30 throughout Europe. The electrode metals (lithium, nickel, cobalt, manganese, aluminum) must currently be purchased from the world market. The scenario analysis carried out shows that battery cell production in Germany will require between 60.4 kt LCE (lithium carbonate equivalent) and 173.2 kt LCE in 2030.
To be able to cover the demand for lithium also domestically or by European resources, the extraction of lithium from deposits in the EU-27 is aimed at in various projects. As of May 2022, there are seven projects in an advanced stage of development that envisage industrial extraction of lithium from conventional, magmatic, or sedimentary deposits as well as from unconventional deposits, geothermal brines, from 2024, 2025 or 2026, depending on the project. The availability of primary lithium from the seven EU-27 projects is determined to be at a maximum of about 39.4 kt LCE/a. A supply of secondary lithium is calculated to be at a maximum of about 6.9 kt LCE/a.
Accordingly, depending on the scenario, in 2030 between 47.5 kt LCE/a and 173.2 kt LCE/a remain to be covered by supply chains from outside Europe, which would equate to a monetary value between US$1.2 billion and US$11.5 billion, depending on the price assumption. If existing purchase contracts of the lithium projects in the EU-27 are included and assuming a future reduction in lithium consumption in the cathodes as well as an increasing efficiency in recycling, the primary and secondary lithium from the EU-27 could cover the demand for lithium for the electrodes for battery cell production in Germany in 2030 to a maximum of 34.5 %. This results in an import dependency for the cathode metal lithium for Germany.
Other innovative extraction methods and processing technologies, such as lithium extraction from mine water of former mines or production water from natural gas or oil production, which are being researched recently, could further increase the supply of European lithium if technically and economically realized. The further development and expansion of recycling possibilities within Europe is also indispensable. However, the quantities of primary and secondary lithium will remain insufficient for the demand in 2030. The added lack of infrastructure for lithium refining and high energy costs will not allow for self-sufficient production of lithium-ion battery cells in 2030 in Europe. If Europe does not invest in all process steps of the value chain, it will continue to be dependent on Asian, especially Chinese, producers.
In the second and third case studies, the demand for selected, potentially critical raw materials is determined, which are necessary to produce hydrogen for material use in the German steel production in 2030. The industry sector "Production and first processing of iron and steel" (WZ 24 1-3) is the second largest greenhouse gas emitter in German industry. To minimize (carbon dioxide) emissions in steel production, the use of hydrogen is being tested in pilot projects. To produce hydrogen in a green way, it requires electrolyzers fed with electricity from renewable sources, in this case, with energy from wind turbines. Building a proton exchange membrane (PEM) electrolyzer requires the use of iridium, while building a solid oxide (SO) electrolyzer requires the use of scandium. In wind turbines the rare earth elements neodymium, praseodymium, dysprosium, and terbium are used in permanent magnets.
Between 4.2 GW and 5.6 GW of electrolysis-capacity will be required to produce hydrogen for material use in German steel production in 2030. With a 45 % market share of PEM electrolysis (PEMEL) in Germany, between 2.8 % (0.2 t) and 4.3 % (0.3 t) of the 2018 global iridium production will is required for the one-time construction of the plants with a lifetime of approximately 20 years. Should SO electrolysis (SOEL) take 10 % of the market share, the scandium required to build the plants in the case study will range from 0.2 % (0.02 t) to 0.6 % (0.05 t) of the global production from the same year. To generate the necessary energy of about 36.5 TWh for water electrolysis, it requires installed capacity between 15.3 GW and 20.9 GW onshore and between 2.2 GW and 3.0 GW offshore. Further, between 821.5 t and 1050.2 t of neodymium, between 168.2 t and 215.8 t of praseodymium, between 174.8 t and 231.7 t of dysprosium and between 30.6 t and 39.0 t of terbium will be required to build the plants.
If no new deposits with the extraction of iridium as a by-product (e.g. nickel-copper deposits) are developed and the market division of electrolyzer technologies does not develop more strongly towards alternatives with a lower or no consumption of potentially critical raw materials, the availability of iridium for Germany may become critical. Due to the high global demand for rare earth elements and China's monopoly position in refining, European production in Sweden or Greenland, for example, and the establishment of a European refinery may be decisive for the availability of these for Germany.
To reduce the dependence on imports of raw material and semi-finished products in Germany, the discovery of and access to new deposits by independent companies, the establishment or maintenance of a smelting and refining infrastructure in Europe, material efficiency improvements, the promotion of sustainable technologies and the establishment of a European recycling value chain are essential.