Aktives Dialogmanagement für eine natürlichsprachliche Benutzerschnittstelle

Aktuelle Sprachsysteme, wie OpenAI’s ChatGPT, zeigen uns die Mächtigkeit der natürlichen Sprache in einer Mensch-Maschine-Interaktion. Durch eine textuelle, natürlichsprachliche Eingabe erteilen die Menschen einer Maschine komplexe Anweisungen und erhalten innerhalb von Sekunden textuelle Ausgaben, die einen Text enthält und von einer Formulierung eines Menschen, nicht zu unterscheiden ist. In naher Zukunft werden solche natürlichsprachlichen Benutzerschnittstellen (Engl.: Natural Language User Interface, kurz: NLUI) in der Lage sein, neben reiner Textausgabe, die Ausgabe als Datei, Bild und einem anderen Format zu erzeugen. Dadurch werden natürlichsprachliche Benutzerschnittstellen immer mehr zum festen Bestandteil unseres Alltags und ein mächtiges Hilfswerkzeug für viele Alltagsaufgaben. Dabei definieren wir eine natürliche Sprache als eine gewöhnliche, von den Menschen täglich verwendete Sprache, mit der wir mit den anderen Menschen interagieren. In der Regel brauchen die Menschen mehrere Jahre, um die Verwendung der natürlichen Sprache zu erlernen. Durch Zuhören lernt ein Kind zunächst einfache Laute und Einzelwörter und gibt diese nach einer Zeit wieder. ... mehrAls nächstes erfolgt eine Wiederholung der gelernten Wörter sowie mit etwas Erfahrung eine Konkatenation der Wörter zu immer mehr komplexeren Ausdrücken. In der Schule erlernt das Kind die Bildung der Sätze nach einer vordefinierten Grammatik.

Auf der einen Seite ermöglicht die natürlichsprachliche Schnittstelle eine für den Benutzer einfache Kommunikation mit dem Softwaresystem. Die natürliche Sprache zu verwenden, hat den Vorteil, dass die Benutzer direkt mit der Interaktion beginnen können, ohne eine Systemsprache oder eine Spezifikation lernen zu müssen. Auf der anderen Seite stellt die Implementierung solcher Sprachsysteme für die Entwickler häufig aufgrund der Komplexität eine schwere Aufgabe dar. Die vorliegende Dissertation untersucht die Hürden im Umgang mit den natürlichsprachlichen Schnittstellen, sammelt aus der Sicht eines Entwicklers Erkenntnisse für eine Implementierung, formuliert die Anforderungen an derartige Systeme und leitet Auswirkungen auf den Entwicklungsprozess einer natürlichsprachlichen Benutzerschnittstelle ab. Die Dissertation präsentiert eine prototypenbasierte Implementierung einer natürlichsprachlichen Schnittstelle, genannt JustLingo Natural Language User Interface oder kurz JustLingo NLUI.

Als Ausgangspunkt der Forschungsarbeit dokumentiert eine Pilotstudie das Benutzerverhalten im Umgang mit einer natürlichsprachlichen Schnittstelle. Ein fiktiver Assistent ermittelt im ersten Experiment der Pilotstudie den Bedarf einer natürlichsprachlichen Schnittstelle. Dieses Experiment zeigt, dass unerfahrene Benutzer bei der Bearbeitung verschiedener Aufgaben in Tabellenkalkulation einen digitalen Assistenten nach Hilfe fragen. Dabei nimmt der Informationsgehalt einer Benutzereingabe mit dem Wissen und dem Erfahrungslevel der Benutzer zu. Für die weitere Untersuchung leitet das Experiment die Anforderung eines Dialogsystems ab.

Die Erkenntnisse der Pilotstudie werden genutzt, um die verwandten Arbeiten und die bereits vorhandenen Lösungen aus dem Forschungsbereich zu untersuchen, sowie im Anschluss die offenen Forschungsfragen abzuleiten. Das Ergebnis ist, dass die aktuellen Implementierungen der natürlichsprachlichen Benutzerschnittstellen, wie OpenAI’s ChatGPT, in den meisten Fällen eine brauchbare Ausgabe zu einer validen Eingabe eines Benutzers liefern. Es fehlt jedoch an den NLUIs, die mit fehlerhaften oder unvollständigen Eingabe eines Benutzers umgehen können. Der Fokus der Forschung soll dabei auf einer Verbesserung der Interaktion mit dem Benutzer liegen.

Für das Erreichen dieses Ziels ist eine NLUI mit mehreren Komponenten notwendig, die verschiedene Fähigkeiten des Gesamtsystems bereitstellen. Die Forschungsarbeit schlägt als zentrale Komponente ein mehrstufiges, zielgerichtetes und adaptives Dialogsystem vor, das mit anderen NLUI Fähigkeiten ausgestattet ist und bei Bedarf diese aufrufen kann. Durch ein aktives Dialogmanagement interagiert die natürlichsprachliche Schnittstelle mit einem Benutzer in einer geteilten Initiative. Sie kann mit den Rückbezügen auf die bereits
mitgeteilten Eingaben und aus der Ungenauigkeit der natürlichen Sprache resultierenden Mehrdeutigkeiten umgehen. Des Weiteren vereint JustLingo NLUI mehrere Module, die unterschiedliche NLUI-Fähigkeiten des Gesamtsystems darstellen. Daher wird jede Benutzereingabe syntaktisch und semantisch zu den jeweiligen Fähigkeiten der natürlichsprachlichen Schnittstelle klassifiziert und an das korrekte Modul zur Verarbeitung übergeben. Außerdem verfügt es über die Fähigkeit, die Beschreibung eines Benutzers zur Funktionalitätserweiterung zu erfassen und die Einzelkomponente, wie Objekte, Methoden und Beziehungen zwischen den Objekten für die spätere Verwendung in einer geeigneten Form abzuspeichern. Die einzelnen Bestandteile einer Benutzereingabe werden dafür auf Funktionsalgorithmen untersucht. Die natürlichsprachliche Schnittstelle unterscheidet zwischen (i) Einzelbefehlen, (ii) Folgen von Einzelbefehlen sowie (iii) bedingten und wiederholenden Befehlen. Um eine Benutzeranfrage auf den Daten zu ermöglichen, erfasst JustLingo NLUI eine textuelle Beschreibung oder eine vorhandene Datenstruktur einer Tabellenkalkulation als Klassenmodell mit Attributen und Methoden. In einer tabellarischen Form stellen die Klassen die Zeilen und die zugeordneten Attribute die Spalten dar. Die Daten einer Tabelle repräsentieren jeweils eine Instanz der Klasse. Die Methoden zur Datenmanipulation können analog zu der Algorithmenerkennung erfasst werden.

Im Rahmen der Forschungsarbeit wurden unabhängige Benutzerstudien durchgeführt, die den Nachweis der Funktionalität der zugehörigen Implementierung liefern. Im Vergleich zu einem musterbasierten Dialogsystem, das eine Erfolgsquote von 79,5% erreicht, schnitt ein Ansatz mit einer flexiblen Sprachanalyse um 10% besser ab. Die Evaluation der Klassifikation ergab einen F-Wert von 95%. Die Algorithmenerfassung wurde in drei Komplexitätsklassen untersucht und zeigt eine Erfolgsrate von durchschnittlich 60%. Mit einer einfachen Synonymerweiterung bei unbekannten Ausdrücken erhöht sich der Wert auf 80%. Bei der Vorstellung des finalen Prototyps wünschen 78% der Teilnehmer eine Integration der natürlichsprachlichen Schnittstelle in eine traditionelle Software.

Die Erkenntnisse der Forschungsarbeit lassen eine Definition der Best Practice für die Implementierung einer NLUI zu. Allerdings gibt es noch weiteres Potenzial für Verbesserungen. Insbesondere gilt in Zukunft die Komplexität der unterstützten Algorithmen zu erhöhen, das Dialogsystem im Umgang mit komplexen unbekannten Daten robust zu machen sowie durch eine lernende Komponente eine bessere Anpassung an das Benutzerverhalten zu schaffen.