Narratives and Models in the Assessment of Unproven Technology

Imaginäre Zukünfte gelten als treibende Kraft der Gegenwart. Politiker, Wissenschaftler, Ingenieure und Ökonomen sind gleichermaßen auf nützliche Spekulationen angewiesen, wenn sie ihre gegenwärtigen Entscheidungen und Handlungen in vielversprechenden, sich entfaltenden Zukunftsvorstellungen umreißen und begründen. Zwar kann man die Zukunft nicht vorhersagen (Immanenz der Gegenwart), jedoch lässt sich empirisch beobachten, wie das Imaginieren und Streiten über Zukunftsvorstellungen an verschiedenen Orten, in verschiedenen Kontexten und zu verschiedenen Zeiten stattfindet. ... mehrAn diesen Orten der Hyperprojektivität entstehen und manifestieren sich die Grenzen plausibler Vorstellung unbewiesener Technologien in Modellen und Narrativen. Techniknarrative offenbaren die verheißungsvolle oder katastrophale Überschreitung einer vorhergehenden Normalität. Modelle untermauern die darin hervorgehobenen Aspekte mit ontischer Kraft und einer gewissen Objektivität. Inwiefern Akteure jedoch die narrativen Drehbücher und Modelle als Requisiten nutzen können, um in der Durchsetzung ihrer Visionen ihre relationale Positionierung zu verbessern, entscheidet letztlich die soziotechnische Praxis. Deshalb stehen Modelle und Narrative in dieser Thesis im Zentrum der Analyse und Unterscheidung imaginierter Zukünfte sowie der Diskussion von Implikationen für die Technikfolgenabschätzung.
Der konzeptionelle Ansatz begründet sich in zwei eher voneinander losgelösten Debatten im Umfeld der TA, nämlich in den Sociologies of Expectation und der Philosophie der Imagination und Modellierung. Während die soziologische Debatte die Reichweite und Bedeutung antizipierender Praktiken für neue und aufkommende Technologien aufzeigt, diskutiert die Philosophie Voraussetzungen, um in der Fiktion neue Überzeugungen und Motivation zu erlangen. Die Debatten treffen sich im Verständnis von Modellen und Narrativen als sozial autorisierte Anweisungen für die Imagination. Während Narrative die zeitliche Kohärenz heterogener Elemente in hypothetischen Handlungspfaden herstellen (von A nach B via C), bilden Modelle der Wechselbeziehungen berücksichtigter Faktoren die Grundlage sozio-epistemischer Anfechtung. Da beides für die Gestaltung der Zukunft von zentraler Bedeutung ist, gilt es die gegenseitige Beeinflussung herauszuarbeiten. Dazu richtete sich diese analytische Perspektive auf die integrierte Begleitforschung zu “Visionen der Ernährung mit Mikroalgen”. Anhand der empirischen Beobachtungen zeigt die Doktorarbeit, wie verschiedene Zukunftsnarrative den Machbarkeitsfragen Relevanz geben und Expertisen unterschiedlich arrangieren. Die Arbeit postuliert, dass der Wandel imaginierter Zukünfte durch drei dynamische Faktoren bedingt ist, nämlich durch die aktuelle Datenlage und Modellierung, verfügbare Narrative Framings und die Kontingenz ihrer sozialen Praxis. Die Arbeit kommt zu dem Schluss, dass die zentrale Rolle von Modellen und Narrativen als Boundary Objects und Requisiten der Technikfolgenabschätzung mehr Aufmerksamkeit verdient, um die Zusammenhänge ihrer wissenschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Einbettung besser zu verstehen.
Die Artikel der kumulativen Arbeit ergänzen sich in ihrer Frage nach der Rolle von Modellen und Erzählungen in der Bewertung unbewiesener Zukunftstechnologien. Der erste Artikel erörtert aus systemtheoretischer Sicht die Rolle von Narrativen für die Erzeugung von Handlungsfähigkeit sowie für die perspektivische Bewertung von Wissen. Der zweite Artikel zeigt, wie gesellschaftliche Zukünfte mit Delphi-Methoden empirisch erforscht werden und generalisierte Schlüsselnarrative es ermöglichen, diese zu unterscheiden und in transdisziplinären Kontexten zu kommunizieren. Der dritte Artikel überträgt Kendall Waltons Theorie des “make-believe” aus den Debatten repräsentierender Kunst und wissenschaftlicher Modellierung auf die empirische Untersuchung von Visionen, um am Beispiel eines Stakeholder-Workshops die Ambiguität imaginierter Grenzen in der Abschätzung einer Zukunftstechnologie offenzulegen. Der vierte Artikel diskutiert Möglichkeiten, politische und wirtschaftliche Perspektiven der Ökobilanz (LCA) bereits im Studiendesign zu antizipieren unter den Prämissen von Vergleichbarkeit und methodischer Standardisierung. Der fünfte Artikel fasst die systemanalytischen Erkenntnisse des Fallbeispiels in einem TA Opinion Paper über Zukünfte der Mikroalgenernährung zusammen. Zusammengefasst gibt die Arbeit dem Zusammenspiel von Modellen und Narrativen innovativer Technologien eine neue Relevanz in den gegenwärtigen Debatten der TA und ihres wissenschaftlichen Umfelds.

Imagined futures are said to be the driving force of the present. Politicians, scientists, engineers, and economists alike rely on speculations to reason and outline their present decisions in an unfolding and promising future. Although we cannot predict the future (immanence of the present), we can empirically observe how imagining and fighting about future imaginaries takes place at different sites, contexts, and times. At these sites of hyperprojectivity, boundaries for the imagination of unproven technologies emerge and manifest in narratives and models. Technology narratives reveal the promissory or catastrophic transgression of preceding normality. ... mehrModels underpin the highlighted aspects of future narratives with ontic power and a certain kind of objectivity. However, the suitability of these scripts and props for asserting a vision and improving the relational positioning of actors, in the end, only becomes apparent in the sociotechnical practice. This thesis focuses on narratives and models to analyze and distinguish between imagined futures and gauge their implications for Technology Assessment (TA).
The dissertation’s conceptual approach builds on two rather detached debates in the field of TA, namely the Sociology of Expectation and the Philosophies of Modeling and Imagination. While the sociological debate highlights the scope and significance of anticipatory practices for novel and emerging technologies, the philosophical debate addresses the prerequisites of achieving new beliefs and motivation in fiction. The two debates overlap in their understanding of narratives and models as socially authorized instructions for the imagination of futures. While narratives generate the temporal coherence of heterogeneous elements in hypothesized pathways for actions (from A to B via C), models are the basis for socio-epistemic contestation. Since they are both pivotal for shaping the future, the dissertation aims to identify their mutual influence, using the accompanying research on visions of microalgae nutrition as an empirical example. Based on the empirical observations, the thesis demonstrates how different future narratives provide relevance to feasibility questions and align expert assessments. Furthermore, the thesis postulates that imagined futures are pined on three types of nonfixeties, namely the data situation and models, available narrative framings, and the contingency of their social practice. Finally, the thesis concludes that more attention should be paid to the central role of narratives and models as the boundary objects and props of Technology Assessment to understand better the interrelations of its scientific, political, and economic embedding.
The articles of the cumulative work cohere in their question about the role of narratives and models in the assessment of unproven emerging technologies. The first article explores the role of narratives for agency and the ambiguous assessment of knowledge from a systems theory perspective. The second article discusses and exemplifies how to study societal futures through Delphi methods empirically and how generalized key-narratives allow us to distinguish and communicate them across transdisciplinary contexts. The third article applies Kendall Walton’s theory of “make-believe” in the empirical study of visions to reveal the ambiguous sociotechnical boundaries of imagined future technology, using the example of a stakeholder workshop. The fourth article discusses ways of anticipating political and economic perspectives on life cycle assessment (LCA) in the study design under the premise of comparability and methodical standardization. The fifth article merges the system analytical findings in a TA opinion paper on futures of microalgae nutrition. In summary, the thesis gives the interplay of narratives and models of unproven and emerging technologies a new relevance in present debates of TA and its scientific surroundings.