Abstract:
Lange Fahrten in Automobilen werden oftmals von monotoniebedingter Ermüdung durch mangelnde Stimulation sowie körperlichen Gesundheitsrisiken durch langanhaltendes Sitzen begleitet. In der Literatur werden kognitive Zusatzaufgaben als Maßnahme gegen monotoniebedingte Ermüdung vorgeschlagen. Der Stand der Technik um gesundheitliche Risiken durch langanhaltendes Sitzen im Fahrzeug zu reduzieren, beschränkt sich hauptsächlich auf Sitzsysteme, welche die Passagiere passiv mobilisieren.
Mit dem Ziel die Fahrsicherheit zu erhöhen und gleichzeitig Gesundheitsrisiken zu reduzieren, wurde ein neuartiges interaktives Sitzsystem (IASS) konzipiert, entwickelt und evaluiert. ... mehrDas IASS soll den Fahrer/die Fahrerin oder die Passagiere dazu motivieren mit dem Sitz zu interagieren und dabei aktive Bewegungen gegen die Sitzfläche auszuführen. Im Gegensatz zu aktuellen interaktiven Sitzsystemen erfolgt die grundlegende Interaktion nicht über ein Display. Stattdessen werden auditive Einsprachen, Luftblasen in der Lehne, Vibrationsmotoren sowie die Ambientebeleuchtung genutzt. Ein Display kommt lediglich bei der Einführung in die Nutzung des Systems oder ergänzend für die Passagiere zum Einsatz. Das ermöglicht, dass der Fahrer/die Fahrerin den Blick und damit auch die Aufmerksamkeit auf der Straße behalten kann. Dadurch soll das System, im Gegensatz zum Stand der Technik, nicht nur für die Passagiere, sondern auch für den Fahrer/die Fahrerin geeignet sein. Das wiederum eröffnet die Möglichkeit das IASS als Zusatzaufgabe neben dem Fahren zu nutzen, um einer momotoniebedingten Reduktion der Aufmerksamkeit entgegenzuwirken. Dabei ist anzumerken, dass die erhöhte Fahrsicherheit durch eine verbesserte Aufmerksamkeit nicht nur den Insassen, sondern auch den anderen Verkehrsteilnehmern dient. Gleichzeitig haben alle Passagiere die Möglichkeit, durch die physiologisch sinnvollen Bewegungen gegen den Sitz, die Gesundheitsrisiken durch langanhaltendes Sitzen zu reduzieren.
Insgesamt wurden drei Probandenstudien durchgeführt, um das IASS zu entwickeln und zu evaluieren. Die erste Probandenstudie diente der Entwicklung des IASS. Um die Bewegungen des Passagiers/der Passagierin bei der Interaktion zu detektieren, wurden Drucksensoren in der Sitzlehne integriert. Zur Gewährleistung einer zuverlässigen Bewegungserkennung von Passagieren mit unterschiedlichen anthropometrischen Merkmalen, war es entscheidend, die Sensoren an optimalen Positionen in der Lehne zu platzieren. Daher war der erste Schritt im Entwicklungsprozess des IASS die Durchführung einer Probandenstudie, um diese optimalen Positionen festzulegen. Im Rahmen der Studie wurden Sitzdruckverteilungsbilder erfasst und anschließend mit einer Methode, dem Statistical Parametric Mapping ausgewertet, die für gewöhnlich bei der funktionellen Magnetresonanztomographie eingesetzt wird. In der vorliegenden Arbeit wurde diese Methode erstmalig zur Auswertung von Sitzdruckverteilungen herangezogen. Der Vorteil gegenüber herkömmlichen Methoden ist die hohe örtliche Auflösung. Damit war es möglich, die Sensoranbringungspunkte sehr präzise zu definieren.
Anschließend wurde das IASS auf Basis der in der ersten Studie gewonnenen Information aufgebaut und anschließend in zwei weiteren Probandenstudien mit einem aktuellen Sitzmassagesystem (MS) hinsichtlich Wirksamkeit verglichen.
In der zweiten Probandestudie sollte das Potential des IASS für die Fahrsicherheit bewertet werden. Die im Fahrsimulator durchgeführte Studie zeigte, dass das IASS die monotoniebedingte Ermüdung reduzierte, während dieser Effekt bei Nutzung des MS nicht auftrat. Das IASS wurde ebenfalls bezüglich des Nutzererlebnisses sowie der emotionalen Wahrnehmung gegenüber dem MS bevorzugt. Außerdem bewerteten die Probanden und Probandinnen, dass das IASS im Vergleich zum MS, sowohl Komfort wesentlich stärker erhöhte als auch Diskomfort stärker reduzierte.
In der dritten und abschließenden Probandenstudie wurde untersucht, ob das IASS den körperlichen Gesundheitsrisiken durch langanhaltendes Sitzen besser entgegen wirkt als das MS. Hierfür wurden beide Sitzsysteme in einem Serienfahrzeug verbaut. Um die Effekte beider Sitzsysteme zu vergleichen, wurden gesundheitsrelevante Parameter erfasst. Damit fahrtbedingte Signalstörungen ausgeschlossen werden konnten, wurde die Studie im stehenden Fahrzeug durchgeführt. Das Elektrokardiogramm zeigte, dass ausschließlich das IASS die Herzfrequenz erhöhte. Elektromyographische Messungen zeigten außerdem, dass das IASS die Aktivität in den sechs erfassten Muskeln erhöhte, während beim MS lediglich ein Muskel eine Tendenz zur Aktivitätserhöhung zeigte. Entsprechend sind die gesundheitsfördernden Effekte des IASS im Vergleich zum MS als wesentlich stärker einzustufen.
Nach dem Kenntnisstand des Autors, ist dies die erste wissenschaftliche Publikation welche eine motorische Zusatzaufgabe als Maßnahme gegen monotoniebedingte Ermüdung im Fahrzeug untersucht. Darüber hinaus wurde erstmalig direkt verglichen, ob ein automobiles Sitzsystem welches zu aktiven Bewegungen animiert, einem System das die Passagiere passiv bewegt, hinsichtlich der Reduktion der negativen körperlichen Effekte des Sitzens überlegen ist.
Abstract (englisch):
Long journeys in automobiles are often accompanied by monotony-related fatigue due to lack of stimulation as well as physical health risks due to prolonged sitting. In the literature, cognitive secondary tasks have been proposed as a countermeasure against monotony-related fatigue. State-of-the-art measures to reduce health-risks mainly include seating systems that passively mobilize the passenger.
With the aim of increasing driving safety while reducing health risks, a novel interactive seating system (IASS) was conceptualized, developed and evaluated. The IASS is designed to motivate the driver or passengers to interact with the seat through active movements against the seat surface. ... mehrUnlike current interactive seating systems, the basic interaction of the IASS is not via a display. Instead, auditory instructions, air bladders in the seat back, vibration motors and ambient lighting are used for interaction. A display is only used for introducing the use of the system or as a complementary interaction element for the passengers. This allows the driver to keep his or her eyes, and therefore attention, on the road. As a result, in contrast to the state of the art, the system should be suitable not only for passengers but also for the driver. This in turn opens up the possibility of using the IASS as a secondary task while driving to counteract a monotony-related reduction in attention. It should be noted that the increased driving safety due to improved attention serves not only the occupants but also other road users. At the same time, all passengers have the opportunity to reduce the health risks associated with prolonged sitting by making physiologically beneficial movements against the seat.
A total of three studies were conducted to develop and evaluate the IASS.
The first study was necessary to develop the IASS. In order to detect the passenger's movements during interaction, pressure sensors were to be integrated into the seat back. To ensure reliable movement detection of passengers with different anthropometries, it was crucial to place the sensors at optimal positions in the backrest. Therefore, the first step in the development of the IASS was to conduct a study to determine these optimal positions. Within the study, seat pressure distribution images were captured and subsequently analyzed using Statistical Parametric Mapping. This is a statistical method that is usually used in functional magnetic resonance imaging. In the study, the method was used for the first time to evaluate seat pressure distribution images. The advantage over conventional methods for analyzing seat pressure distribution images is the high spatial resolution. This made it possible to precisely define the sensor locations.
Based on the information obtained in the first study, the IASS was set up. Afterwards, two additional studies were conducted to compare the IASS with a current seat massage system (MS).
The second study was to evaluate the potential of the IASS for driving safety. The driving simulator study showed that the IASS reduced monotony-related fatigue, whereas this was not the case when using the MS. The IASS was also preferred over the MS in terms of user experience as well as emotional perception. In addition, subjects rated the IASS as better at increasing comfort and decreasing discomfort compared to the MS.
The third and final study examined whether the IASS was better than the MS at counteracting the physical health risks associated with prolonged sitting. For this purpose, both seating systems were installed in a production vehicle. In order to compare the effects of both seating systems, health-related parameters were recorded. The study was conducted in a stationary vehicle to exclude signal interference caused by driving. The electrocardiogram showed that only the IASS increased the heart rate. Electromyographic measurements also showed that the IASS increased activity in the six muscles recorded, whereas with the MS only one muscle showed a trend toward increased activity. Accordingly, the health-promoting effects of the IASS can be considered much higher compared to the MS.
To the author's knowledge, this is the first scientific publication to investigate a secondary motor task as a measure against monotony-related fatigue in the vehicle. In addition, it is the first direct comparison of whether an automotive seating system that encourages active movement is superior to a system that passively moves the passenger in terms of reducing the negative physical effects of sitting.