Abstract:
Die vorgelegte Doktorarbeit beschäftigt sich erstmals damit einen gesamten biopharmazeutischen Downstream Prozess mit computergestützten Modellen zu beschreiben. Mit dem Downstream Prozess ist in diesem Fall die Aufreinigung von therapeutischen Proteinen, zur Erzielung eines definierten Reinheitsgrades für die klinische Applikation gemeint. Der Fertigungsprozess im Downstream besteht in der Regel aus einer Verkettung von mehreren Chromatographie- und Filtrationsschritten. Die wesentliche Aufgabe besteht darin Verunreinigungen und auftretende Prozessschwankungen zuverlässig abzufangen und die Produktqualität zu gewährleisten. ... mehrZur Sicherstellung der Produktqualität verlangen Aufsichtsbehörden wie die U.S. Food and Drug Administration (FDA) und die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) einen kontrollierten und robusten Fertigungsprozess. Hierdurch soll die Patientensicherheit und die effiziente Marktversorgung des Arzneimittels gewährleistet werden. Die biopharmazeutischen Unternehmen müssen somit alle Prozessparameter und deren Auswirkung auf Produktqualitätsmerkmale ermitteln, überwachen und kontrollieren. Zu den geforderten Qualitätszielen, findet sich die biopharmazeutische Industrie in einer zunehmend kompetitiven Umgebung. Der Kosten- und Zeitdruck nimmt stetig zu und es ist absolut entscheidend die Marktreife des Arzneimittels als erstes Unternehmen zu erreichen. Es ist somit von großem Interesse die aktuelle Prozessentwicklung zu hinterfragen und zu beschleunigen.
Die derzeitige Prozessentwicklung setzt zur Erschließung der Zusammenhänge zwischen Prozessparametern und deren Einfluss auf die Produktqualität hauptsächlich auf experimentelle Ansätze. Häufig wird die statistische Versuchsplanungen, auch Design of Experiments (DoE‘s) genannt, eingesetzt. Hierbei werden die Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen Prozessparametern und Produktqualität durch Planung, Durchführung und Auswertung speziell designter Experimente erschlossen. Dieser Ansatz war in der Vergangenheit erfolgsversprechend, jedoch gibt es einige Nachteile. Die erhaltenden Zusammenhänge sind prozessgebunden und somit nicht generell gültig oder übertragbar. Zudem sind Vorhersagen außerhalb des experimentell getesteten Rahmens generell nicht zulässig. Aufgrund des exponentiellen Zusammenhanges zwischen der Anzahl an Parametern und Experimenten, ist die Anzahl an testbaren Prozessparametern ebenfalls limitierend. Auch wenn die Anzahl an Parametern geringgehalten wird, ist die experimentelle Durchführung sehr zeitintensiv. Prozessschritt übergreifende Studien würden deshalb einen unrealistischen experimentellen Aufwand bedeuten, da die Anzahl an Prozessparameter jeden möglichen Versuchsrahmen sprengen würde. Somit werden die Prozesseinheiten i.d.R. einzeln betrachtet und entwickelt. Die genannten Limitationen können potenziell von mechanistischen Modellen ausgeglichen werden. Diese Modelle haben zum Ziel die zugrundeliegenden Prozesszusammenhänge anhand von Naturgesetzen zu beschreiben. Es werden hierbei mathematische Gleichungen herangezogen, welche die zugrundeliegenden Prozesszusammenhänge mit physikalisch-chemischen Modellen verbinden. Vorhersagen durch mechanistische Modelle außerhalb des experimentellen Rahmens sind somit möglich und auch die Unabhängigkeit von Prozessdimensionen ist gegeben. Wenn also Prozesszusammenhänge im Downstream Prozess durch mechanistische Modelle bekannt und beschrieben werden, können hierdurch Experimente und Zeit während der Entwicklung eingespart werden.
Im Idealfall sind alle benötigten Modellparameter bekannt oder direkt messbar. In der Realität müssen jedoch häufig einzelne Modellparameter an wenigen, gezielten Experimenten bestimmt werden, was als Parameteranpassung bezeichnet wird. Die Qualität der Modellvorhersagen hängt somit stark von der Wahl des Modelles und der Experimente zur Parameteranpassung ab. Es ist anzumerken, dass selbst bei Beachtung der genannten Punkte, die Modelle dennoch eine Approximation der Realität bleiben. Dennoch helfen sie uns die Prozesszusammenhänge besser zu verstehen und zu kontrollieren.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es erstmalig mechanistische Modelle zur Beschreibung einer gesamten Downstream Sequenz zu verknüpfen. Durch die Verknüpfung von mechanistischen Modellen wird eine prozessschritt- und dimensions-übergreifende Prozessbeschreibung ermöglicht. Dies erforderte eine sorgfältige Modellauswahl, sowie die Sicherstellung einer geeigneten Strategie zur Parameteranpassung jedes einzelnen Modells. Das im Labormaßstab entwickelte Modell wurde auf Produktionsdaten getestet, um die industrielle Anwendbarkeit zu demonstrieren. Dies wurde schrittweise in 3 Manuskripten umgesetzt.
In der ersten Veröffentlichung (Kapitel 3) wurde die Verkettung von zwei Ionenaustauschchromatographie Schritten unter Beachtung der Anpassungsschritte veröffentlicht. Dies ermöglicht die Einflussnahme von Puffersubstanzen, pH, Ionen und Proteinkonzentrationen auf die entsprechenden folgenden Prozessschritte zu beschreiben. Als geeignetes Modell für die Einstellschritte hat sich ein Mean-Field Ansatz erwiesen. Für die Beschreibung der Ionenaustauschchromatographie hat sich das Transport Dispersionsmodell in Kombination mit einem kolloidalen Partikeladsorptionsmodell bewiesen. Das verknüpfte Modell war schließlich in der Lage Prozessvariationen im Produktionsmaßstab von 94 Durchläufen angemessen zu reproduzieren. Das Modell konnte zudem nicht nur die Prozessperformance reproduzieren, sondern auch die Größenvarianten als kritisches Qualitätsattribut beschreiben. Es konnte erstmals gezeigt werden, dass ein verknüpftes Modell im Labormaßstab entwickelt, durchaus in der Lage ist Schlüsse auf die Produktionsvariabilität zuzulassen.
Das Modell in Kapitel 4 beschreibt die Tangentialflussfiltration (TFF) wie sie für die Ultrafiltration und Diafiltration (UF/DF) in der biopharmazeutischen Industrie angewendet wird. Bei dieser Filtration strömt der Fluss tangential zur Membranfläche und erlaubt somit eine hohe Ankonzentration (Ultrafiltration) bzw. einen Puffertausch (Diafiltration). Während des UF/DF Prozesses wirkt ein komplexes Zusammenspiel aus Drücken und Flüssen in Abhängigkeit der Proteineigenschaften wie der Viskosität. Bisherige Modelle betrachteten lediglich die Ultrafiltration oder den Druck und dies nicht über die gesamten Phasen der UF/DF über die Zeit aufgelöst. Ein modifiziertes Polarisationsmodell in Kombination mit einer modifizierten Darcy Forchheimer Gleichung erwies sich als zuverlässig. Das Modell war in der Lage adäquat auf multivariate Ultrafiltrationsexperimente zu reagieren. Ebenfalls konnte ein kompletter UF/DF Prozess beschrieben werden und Dimensionseffekte beobachtet werden.
In Kapitel 5 wird schließlich das verbundene mechanistische Prozessmodell präsentiert. Hierzu war es notwendig für die restlichen Prozessschritte Modelle zu etablieren. Dies beinhaltet die Beschreibung der Affinitätschromatographie mittels eines Transport-Dispersionsmodells in Kombination mit einer modifizierten Langmuir Adsorptionsisotherme. Das Affinitätsmodell beschreibt die pH induzierte Elution für verschiedene Säulenbeladungen und Prozessfahrweisen, was in der Form bisher noch nicht gezeigt werden konnte. Des Weiteren wurde für die Tiefenfiltration als fähigstes Modell das kombinierte Porenverblockungsmodell identifiziert. Das Modell kombiniert die klassische Porenverblockung mit der Kuchenfiltration, welche erstmals auf die Tiefenfiltration angewendet werden konnte. Es konnte schließlich die Tiefenfiltration über die Zeit aufgelöst und die fluss- als auch druckgesteuerte Filtration beschrieben werden. In der Summe konnte schließlich ein verbundenes mechanistisches Prozessmodell für einen gesamten biopharmazeutischen Downstream Prozess erstellt werden. Das im Labormaßstab entwickelte Prozessmodell wurde ebenfalls erstmals genutzt, um auf industrielle Produktionsläufe zu extrapolieren. Die Extrapolation der Prozessinputs beinhaltete nicht nur Chromatographie Säulen doppelter Trennlänge, sondern auch weitere Prozessbedingungen, wie sie im Labormaßstab nicht zur Modellentwicklung verwendet wurden. Die Modellqualität und Anwendbarkeit konnte zusätzlich gezeigt werden, indem die Prozessschwankung von 23 Produktionsläufen adäquat über den gesamten Prozess von dem Prozessmodell wiedergeben wurde.
Zusammenfassend konnte in der vorliegenden Arbeit anhand eines Proteins gezeigt werden, dass die zugrunde liegenden Mechanismen in einem biopharmazeutische Downstream Prozess in verbundener Form beschrieben werden können. Die Herausforderung der Modellauswahl und Umsetzung konnten anhand des vorliegenden Prozesses umgesetzt werden. Die Erkenntnisse und Modelle können als Grundlage für weitere Studien und Prozesse dienen und bieten somit ein Fundament in Richtung modellgestützter Prozessentwicklung.
Abstract (englisch):
The present doctoral thesis is the first to describe an entire biopharmaceutical downstream process with computer-aided models. Downstream processing refers to the purification of therapeutic proteins to achieve a defined degree of purity for clinical application. The downstream manufacturing process usually consists of a concatenation of several chromatography and filtration steps. The essential task is to reliably remove impurities, control process fluctuations that occur, and to ensure product quality. To ensure product quality, regulatory agencies such as the U.S. Food and Drug Administration (FDA) and the European Medicines Agency (EMA) demand a controlled and robust manufacturing process. ... mehrThis is to ensure patient safety and efficient market supply of the drug product. Biopharmaceutical companies must therefore identify, monitor, and control all process parameters and their impact on product quality. To the required quality goals, the biopharmaceutical industry finds itself in an increasingly competitive environment. Cost and time pressures are steadily increasing, and it is critical to be the first to market with a novel drug candidate. It is therefore of great interest to challenge and accelerate the current process development.
Current process development mainly relies on experimental approaches to develop the relationships between process parameters and their influence on product quality. For this, statistical design of experiments (DoE) is often used. Here, the cause-effect relationships between process parameters and product quality are developed by planning, conducting, and evaluating dedicated experiments. This approach has been promising, and yet it comes with some drawbacks. The relationships obtained are process-specific and not generally valid or transferable to future processes. In addition, predictions outside the experimentally tested framework are generally not valid. The number of testable process parameters is also limited due to the exponential relationship between the number of parameters and experiments. Even if the number of parameters is kept low, the experimental execution is very time consuming. Moreover, cross-unit studies would require an unrealistic experimental effort, since the number of process parameters would exceed any possible experimental framework. Thus, the process units are usually considered and developed individually. The limitations mentioned above can be compensated by mechanistic models. The aim of these models is to describe the underlying process relationships on the basis of natural laws. Mathematical equations used here link the underlying process relationships with physical chemical models. Predictions by mechanistic models outside the experimental framework are thus possible and the independence of process dimensions is given. If downstream process interrelationships are known and described by mechanistic models, this can save experiments and time during development.
Ideally, all required model parameters are known or directly measurable. In reality, however, individual model parameters often have to be mathematically determined using a few dedicated experiments, which is usually referred to as parameter estimation. Therefore, the quality of model predictions strongly depends on the choice of the model and the experiments for parameter fitting. It should be noted that even if the above points are taken into account, the models still remain an approximation of reality. Nevertheless, they help us to better understand and control the process relationships.
The aim of the present work was to link mechanistic models of different unit operations together for the first time to describe an entire downstream sequence. Linking mechanistic models enables a process description that spans process steps and dimensions. This required careful model selection, as well as ensuring an appropriate experimentation and strategy for parameter fitting of each model. The laboratory scale model developed was tested using various production data to demonstrate industrial applicability. This was implemented stepwise in three manuscripts.
In the first publication (Chapter 3), the concatenation of two ion-exchange chromatography steps was published, taking into account the surrounding adjustment steps. This allows the influence of buffer substances, pH, ion, and protein concentrations on the respective subsequent process steps to be described. A mean-field approach has proven to be a suitable model for the adjustment steps. For the description of ion-exchange chromatography, the transport-dispersive column model in combination with a colloidal particle adsorption model proved to be suitable for this study. The linked model was finally able to adequately reproduce process variations at the production scale of 94 runs. The model was also able to reproduce not only process performance, but also size variants of the product as a critical quality attribute. For the first time, it has been shown that a linked model developed at laboratory scale allows conclusions to be drawn about production variability.
The model in chapter 4 describes tangential flow filtration (TFF) as applied to ultrafiltration and diafiltration (UF/DF) in the biopharmaceutical industry. In this filtration step, the flow is tangentially to the membrane surface, allowing to reach high product concentration (ultrafiltration) and buffer exchanges (diafiltration). During the UF/DF process, a complex interplay of pressures and fluxes occurs depending on quantities such as the protein viscosity and protein concentration. Previous models considered only filtration and pressure independently and were not applied over the entire duration of the UF/DF phases. A modified polarization model combined with a modified Darcy Forchheimer equation proved to be reliable. The model was able to respond adequately to multivariate ultrafiltration experiments. In addition, a complete UF/DF process was described, and scale-up effects could be observed.
Finally, chapter 5 presents the connected mechanistic process model. For this purpose, it was necessary to establish models for the remaining process steps. This includes the description of affinity chromatography using a transport-dispersive column model in combination with a modified Langmuir adsorption isotherm. The affinity model describes the pH induced elution for different column loadings and process driving modes, which has not been shown in the form before. Furthermore, for depth filtration, the most capable model identified was the combined pore blocking model. The model combines classical pore blocking with cake filtration, which could be applied to depth filtration for the first time. It was finally possible to resolve depth filtration over time and describe it for both flow- and pressure-controlled filtration. In conclusion, this work describes the first connected mechanistic process model for an entire biopharmaceutical downstream process. The process model developed at laboratory scale was also used for the first time to extrapolate to industrial production runs. The extrapolation includes not only chromatography columns of twice the separation length in some cases, but also process conditions not included for model development at the laboratory scale. The model quality and applicability could additionally be demonstrated by the fact that the process model adequately represents the process variation of 23 production runs over the entire process.
In summary, the present dissertation used a protein to demonstrate that the underlying mechanisms in a biopharmaceutical downstream process can be described in connected form using mechanistic models. The challenge of model selection and implementation could be resolved using the present process. The findings and models are a basis for further work and will serve as a foundation for model-based process development.