Abstract:
Die Protonen-Austausch-Membran-Elektrolyse wird aktuell als eine der erfolgversprechendsten Technologien für die Produktion von Wasserstoff innerhalb eines auf erneuerbaren Energien basierenden Energiessystems gesehen. Hierbei wird Wasser durch das Anlegen eines elektrischen Potentials in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Die Leistungsfähigkeit der Wasserspaltung wird im Wesentlichen durch die träge Sauerstoffentwicklungsreaktion (OER) bestimmt, in der Wasser zu Protonen und molekularem Sauerstoff reagiert. Zur Beschleunigung dieses Anodenprozesses auf technisch relevante Umsatzraten bedarf es Katalysatoren, die eine hohe Aktivität und Stabilität aufweisen. ... mehrDurch exzessives Materialscreening konnten stabile Ir- und performante Ru-basierte Übergangsmetalloxide identifiziert werden. Dennoch weisen selbst diese modernsten Katalysatoren hohe kinetische Verluste in Form von Überpotentialen von mehreren hundert Millivolt auf. Um die Verbesserung der OER voranzutreiben, ist nun ein fundamentales Verständnis einzelner Reaktionsschritte sowie quantitative Einblicke in deren Thermodynamik und Kinetik erforderlich.
In dieser Dissertation wird erstmalig ein umfassendes und dynamisches Mikrokinetik-Modell der OER entwickelt und mit cyclovoltammetrischen Experimenten validiert, um die individuellen Prozesse an den Katalysatoren zu analysieren. Die experimentell beobachtbare Oxidation der Katalysatoroberfläche und die damit verbundene Bildung von Intermediaten werden in Form von reversiblen Adsorptionsreaktionen modelltechnisch nachgebildet. Das resultierende System an Ratengleichungen wird bilanziert, mittels kinetischer Ratenkonstanten oder thermodynamischer Energiewerte parametriert und hinsichtlich seines Verhaltens auf einen dynamischen Potentialinput simuliert. Die direkte Reproduktion elektrochemischer Experimente dient der Modellvalidierung. Hiermit wird eine Quantifizierung der mechanistischen Reaktionspfade, der entstehenden Intermediate an der Oberfläche, der Reaktionsraten einzelner Schritte und essentieller, thermodynamischer Eigenschaften ermöglicht. Die Studien fokussieren sich auf unterschiedlich strukturierte Materialien: Das hydrierte Ir, die rutilen Übergangsmetalloxide IrO$_2$ und RuO$_2$ sowie binäre Übergangsmetalloxidmischungen basierend auf Ir und Ru.
Zunächst wurde ein grundlegendes mikrokinetisches Modell für die Mechanismusaufklärung der OER an hydiertem Ir etabliert und hiermit der dominierende Reaktionsmechanismus aus mehreren Varianten identifiziert. Die Simulationen implizieren eine überwiegende Sauerstoffproduktion über einen Reaktionspfad an einem einzigen aktiven Zentrum. Die Oxidationszustände des Katalysators können auf Basis des validierten Modells analysiert werden und liegen zu etwa 7 % Ir(III), 25 % Ir(IV) und 63 % Ir(V), bei einem typischen OER Potential von 1,6 V gegenüber der reversiblen Wasserstoffelektrode, vor. Durch die quantitative Analyse der Intermediate und Reaktionsraten kann das kontraintuitive Auftreten einer reduzierten Ir-Spezies bei stark oxidierenden Potentialen durch eine kinetische Limitierung der Wasseradsorption erklärt werden.
Des Weiteren wurde das Modell durch die implizite Berücksichtigung thermodynamischer Energien erweitert. Mit dieser weiterentwickelten Methodik wurde erstmalig das Leistungs- und das Degradationsverhalten des aktuellen Standardkatalysators IrO$_2$ umfassend und quantitativ analysiert. Dabei zeigt sich, dass die OER maßgeblich durch drei Reaktionsschritte limitiert wird. Diese sind die Adsorption vonWasser, ein potentialgetriebener Deprotonierungsschritt und die Abspaltung von molekularem Sauerstoff. Ein wissenschaftlicher Durchbruch besteht darin, dass es mit der in dieser Dissertation entwickelten Methodik erstmalig möglich ist, degradierte Zustände des Katalysators tiefgreifend und quantitativ zu untersuchen. Im Ergebnis korreliert die Abnahme der elektrokatalytischen Aktivität mit einem Anstieg der Aktivierungsenergie aller Deprotonierungsschritte. Da die Auswirkungen elektrolytbezogener Parameter nicht zu einer solchen Abnahme führen, wird in der modellbasierten Analyse deutlich, dass die Ursache des Leistungsverlustes auf Materialveränderungen zurückzuführen ist.
Neben reinen Ir-Oxiden wurde die Methodik anschließend auch auf das Rutil RuO$_2$ und auf binäre Übergangsmetalloxide Ir$_\text{x}$Ru$_\text{1-x}$O$_2$ angewandt, um den Einfluss der Materialzusammensetzung auf die Leistungsfähigkeit zu analysieren. Die Oberflächen der Mischungen weisen aktive Zentren sowohl aus Ir als auch aus Ru auf, an welchen die OER unabhängig und bei unterschiedlichen Überspannungen abläuft. Die potentialbestimmenden Reaktionsschritte an beiden Zentren unterscheiden sich und sind im Speziellen die Bildung der adsorbierten Spezies $^∗$OOH an RuO$_2$ und $^∗$OO an IrO$_2$. Werden beide Komponenten zu einem binären Übergangsmetall gemischt, bewirkt dies einen synergetischen Effekt, durch den die Reaktionsenergien der limitierenden Schritte abgesenkt werden und somit eine effizientere OER ermöglichen.
Mit der in dieser Dissertation erabeiteten modellbasierten Methodik wurde es erstmalig ermöglicht, die individuellen Prozesse der OER umfassend und quantitativ zu analysieren. Die Analyse umfasst sowohl die Thermodynamik und Reaktionskinetik sowie deren Effekte auf die Leistungsfähigkeit von initialen und insbesondere auch von degradierten Katalysatorzuständen. Aufgrund der erfolgreichen Untersuchungen verschiedener Katalysatormaterialien suggeriert der Ausblick dieser Arbeit, dass sich die Methodik als übertragbar und vorteilhaft für die zukünftige Analyse weiterer Elektrokatalysatoren und elektrokatalytischer Reaktionen erweisten wird.
Abstract (englisch):
The proton exchange membrane electrolysis is currently seen as one of the most promising technologies for hydrogen production within an energy system based on renewable energies. In this process, water is split into its components, hydrogen and oxygen, by applying an electrical potential. The performance of water splitting is determined by the sluggish oxygen evolution reaction (OER), in which water reacts to protons and molecular oxygen. In order to accelerate this anode process to technically applicable conversion rates, highly active and stable catalysts are needed. Through excessive material screening, stable Ir- and active Ru-based transition metal oxides have been identified. ... mehrNevertheless, even these state-of-the-art catalysts exhibit high kinetic losses in the form of overpotentials of several hundred millivolts. A fundamental understanding of individual reaction steps and quantitative insights into their thermodynamics and kinetics is required to advance the improvement of the OER.
In this dissertation, a comprehensive and dynamic microkinetic model of the OER is developed for the first time and validated with cyclic voltammetry experiments to analyze the individual processes at the catalysts. The experimentally observable oxidation of the catalyst surface and the associated formation of intermediates are modeled in terms of reversible adsorption reactions. The resulting system of rate equations is balanced, parameterized using kinetic rate constants or thermodynamic energy values, and simulated for its behavior on a dynamic potential input. Direct reproduction of electrochemical experiments is used for model validation. The developed methodology allows quantification of the mechanistic reaction pathways, the intermediates formed at the surface, the reaction rates of individual steps, and essential thermodynamic properties. The studies focus on differently structured materials: the hydrous Ir, the rutile transition metal oxides IrO$_2$ and RuO$_2$, as well as binary transition metal oxide mixtures based on Ir and Ru.
At first, a fundamental microkinetic model was established to elucidate the mechanism of the OER on hydrous Ir, and thereby, the dominant reaction mechanism from several variants was identified. The simulations imply a predominant oxygen production via a reaction pathway at a single active site. The oxidation states of the catalyst can be analyzed based on the validated model and are present at about 7 % Ir(III), 25 % Ir(IV), and 63 % Ir(V), at a typical OER potential of 1.6 V versus the reversible hydrogen electrode. By a quantitative analysis of the intermediates and reaction rates, the counterintuitive occurrence of a reduced Ir species at strongly oxidizing potentials can be explained by a kinetic limitation of the water adsorption.
Furthermore, the model was extended by implicitly considering thermodynamic energies. With this advanced methodology, the performance and degradation behavior of the current standard catalyst IrO$_2$ was analyzed comprehensively and quantitatively for the first time. It is shown that three reaction steps significantly limit the OER. These are the adsorption of water, a potentialdriven deprotonation step, and the detachment of molecular oxygen. A scientific breakthrough is that the methodology developed in this dissertation makes it possible for the first time to study degraded states of the catalyst in-depth and quantitatively. As a result, the decrease in electrocatalytic activity correlates with an increase in the activation energy of all deprotonation steps. Since the effects of electrolyte-related parameters do not lead to such a decrease, it becomes evident from the model-based analysis that the cause of the performance loss is due to material changes.
In addition to pure Ir oxides, the methodology was subsequently applied to the rutile RuO$_2$ and binary transition metal oxides Ir$_\text{x}$Ru$_\text{1-x}$O$_2$ to analyze the influence of material composition on the performance. The surfaces of the mixtures exhibit active sites of both Ir and Ru, at which the OER proceeds independently and at different overpotentials. The potential-determining reaction steps at the two active sites differ and are in particular the formation of the adsorbed species $^∗$OOH at RuO$_2$ and $^∗$OO at IrO$_2$. Mixing both components to form a binary transition metal oxide results in a synergistic effect by which the reaction energies of the limiting steps are lowered, allowing for more efficient OER.
With the model-based methodology developed in this dissertation, it was possible for the first time to comprehensively and quantitatively analyze the individual processes of the OER. The analysis includes thermodynamics, reaction kinetics, and their effects on the performance of pristine and especially degraded catalyst states. Furthermore, due to the successful investigations of various catalyst materials, the outlook of this work suggests that the methodology will prove to be transferable and beneficial for the future analysis of further electrocatalysts and electrocatalytic reactions.